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Zielgerichtete Krebstherapien

Die klassischen Verfahren bei der Behandlung von Krebs, Operation, Strahlen- und Chemotherapie, sind zwar in vielen Fällen wirksam, bleiben aber insbesondere bei fortgeschrittenen Erkrankungen in ihren Möglichkeiten eingeschränkt. So wirken die Operation und Strahlentherapie nur lokal, also unmittelbar am Ort des Tumors. Durch die systemisch wirkende Chemotherapie lassen sich zwar auch gestreute Krebszellen bekämpfen, doch gesundes Gewebe wird davon ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen, weshalb bei einer solchen Behandlung erhebliche Nebenwirkungen zu erwarten sind.

Das Interesse der medizinischen Krebsforschung richtet sich deshalb zunehmend auf die Entwicklung von Therapien, die spezifisch gegen den Krebs wirken, weil sie auf molekulare Eigenschaften von Krebszellen abzielen, die nur diesen, nicht oder kaum jedoch gesunden Körperzellen eigen sind. Die neuen molekularbiologischen Therapien werden deshalb auch als zielgerichtete Therapien ("targeted therapies") bezeichnet. Mit ihnen verbindet sich die Hoffnung, einerseits die Krebszellen wirkungsvoll aufhalten zu können und andererseits weniger Nebenwirkungen in Kauf nehmen zu müssen.

Grundlagen: Zellwachstum

targets
Quelle: © dkg-web

Zellwachstum und Zellteilung werden über Botenstoffe (Liganden) gesteuert, die über die Blutbahn an die Zellen gelangen. Auf der Zelloberfläche befinden sich spezifische Bindungsstellen (Rezeptoren) für die Botenmoleküle. Sie ragen mit dem einen Teil über die Zelloberfläche hinaus-, mit dem anderen ins Zellinnere hinein. Botenstoffe und Rezeptoren passen zusammen wie Schlüssel und Schloss. Lagert sich ein Wachstumsfaktor-Ligand an seinen spezifischen Rezeptor an der Zelloberfläche an, wird in der Zelle eine Signalkette ausgelöst, die letztendlich die zum Wachstum nötige Zellteilung veranlasst.

Es gibt zahlreiche verschiedene Rezeptor- und Ligandentypen mit unterschiedlichen Funktionen. Für das Zellwachstum sind vor allem vier miteinander verwandte Wachstumsfaktor-Rezeptoren bedeutungsvoll, die als epidermale Wachstumsfaktor-Rezeptoren (Epidermal Growth Factor Receptor, Abk. EGFR, ErbB oder HER) bezeichnet werden: ErbB-1 (HER1, EGFR1), ErbB-2 (HER2), ErbB-3 (HER3) und ErbB-4 (HER4).

Diese Rezeptoren kommen auf den Zellen vieler menschlicher Organe vor. Bei Krebszellen kann die Anzahl von ErbB-1 und ErbB-2 jedoch bis zu 100-mal größer sein als auf gesunden Zellen, die Rezeptoren sind dann „überexprimiert“. Die Folge: Das Wachstumssignal wird zu häufig übertragen, und es kommt zu einer beschleunigten Zellteilung – der Tumor wächst. Die Übertragung des Wachstumssignals zu verhindern, indem die Bindungsstelle, der Rezeptor, für den Wachstumsfaktor blockiert wird, ist ein Ansatz für molekularbiologische Therapien.

Innerhalb der Zelle werden Wachstumssignale über verschiedene komplizierte biochemische Reaktionswege („Pathways“) an den Zellkern weitergeleitet („Signaltransduktion“). Verschiedenste Enzyme und andere Botenstoffen sind an diesen aufeinander folgenden Prozessen („Signalkaskade“) beteiligt. Wenn beispielsweise von MAP, PI3k, PDK, Ras, AKT oder mTOR die Rede ist, dann sind diese biochemischen Signalketten gemeint. Bei Krebserkrankungen können sie auf vielfältige Weise gestört und für das unkontrollierte Wachstum der Zellen (mit-)verantwortlich sein. Neben den Rezeptoren auf der Zelloberfläche stellen sie einen weiteren Ansatzpunkt molekularbiologischer Therapien dar.

Grundlagen: Gefäßwachstum

Krebszellen benötigen wie gesunde Körperzellen auch Sauerstoff und Nährstoffe, damit sie wachsen und sich teilen können. Da die im normalen Gewebe vorhandenen Blutgefäße nicht ausreichen, um die Tumorversorgung zu gewährleisten, regen Krebszellen die Bildung neuer Blutgefäße bzw. das Wachsen vorhandener Blutgefäße zum Tumorgewebe hin an. Diese Gefäßneubildung, Angiogenese genannt, wird ebenfalls über körpereigene Botenstoffe, Bindungsstellen auf der Zelloberfläche und Signalwege im Zellinneren geregelt. Die Zellen senden Wachstumssignale an die umliegenden Blutgefäße aus und regen sie an, neue Verzweigungen zu bilden.

Ein wichtiger Botenstoff für die Gefäßneubildung ist das Protein VEGF (Vascular endothelial growth factor). VEGF bindet sich an seine Rezeptoren auf der Zelloberfläche, die das Signal ins Zellinnere weiterleiten. In Tumoren wird oftmals eine erhöhte Ausprägung von VEGF gefunden. Daraus ergibt sich ein weiterer Angriffspunkt für molekularbiologische Therapien.

Wirkprinzipien molekularbiologischer Therapien

Inhibatoren
Quelle: © dkg-web

Molekularbiologische Therapien richten sich gegen

  • Botenstoffe („Liganden“),

  • Bindungsstellen („Rezeptoren“) für diese Botenstoffe auf der Zelloberfläche oder

  • Signalwege in den Zellen

und beeinflussen damit das Tumor- bzw. das Blutgefäßwachstum.

In der Krebstherapie werden derzeit folgende Wirkstoffe eingesetzt:

  • Monoklonale Antikörper (Wirkstoffname endet auf „-mab“): Sie blockieren Wachstumrezeptoren auf der Zelloberfläche und markieren die Zelle gleichzeitig für das körpereigene Immunsystem (z. B. Bevacizumab, Catumaxomab, Denosumab, Ipilimumab, Pertuzumab, Trastuzumab und viele andere),

  • Tyrosinkinasehemmer (Enzyme, Wirkstoffname endet auf „-mib“ oder „-nib“), die ihre Wirkung am Rezeptor außerhalb und auch innerhalb der Zellen entfalten (z. B. Afatinib, Erlotinib, Gefitinib, Imatinib, Lapatinib, Sunitinib, Vemurafenib und viele andere)

  • mTOR-Hemmer (Wirkstoffname endet auf –mus), die sich gegen den mTOR-Signalweg innerhalb der Zelle richten (z. B. Everolimus, Temsirolimus)

Einige dieser neuartigen Wirkstoffe sind seit einigen Jahren für bestimmte Indikationen zugelassen, viele weitere befinden sich noch in der Entwicklung und werden in klinischen Studien auf ihre Wirksamkeit getestet. Sind es derzeit vor allem noch fortgeschrittene Krankheitsstadien, in denen molekularbiologische Wirkstoffe zugelassen sind, richten sich die Forschungsbemühungen zunehmend auch auf die Entwicklung entsprechender Therapien für Tumoren in früheren Stadien, bei denen etwa ein hohes Rückfallrisiko besteht.

Wann kommen molekularbiologische Therapien in Frage?

Grundsätzlich können zielgerichtete Therapien nur dann wirken, wenn die jeweilige Zielstruktur in den Krebszellen auch tatsächlich vorhanden ist. Aus diesem Grund werden bei der Diagnosestellung vieler Krebsarten, für die zielgerichtete Therapien in Frage kommen, umfangreiche molekulare Untersuchungen des Tumorgewebes vorgenommen. Anhand der Ergebnisse dieser Tests kann dann eine individuelle Strategie mit einer zielgerichteten Therapie festgelegt werden.

Manche Experten glauben, dass die Behandlung von Krebs in Zukunft nicht mehr organspezifisch erfolgt, sondern dass – unabhängig, ob es sich um Brust-, Prostata-, Darmtumoren oder eine andere Krebsart handelt – die jeweiligen genetischen Störungen bzw. Mutationen, die der Entstehung des Krebses zugrunde liegen können, zielgerichtet bekämpft werden.

Nebenwirkungen

Da auch gesunde Zellen in gewissem Umfang die von den zielgerichteten Therapien anvisierten Zielstrukturen ausbilden, kann die Behandlung Nebenwirkungen verursachen. Möglich sind beispielsweise Hautreaktionen (z.B. Hand-Fuß-Syndrom mit Rötung, Schwellung, Verhornung und Blasenbildung an Handflächen und Fußballen), Durchfall, Bluthochdruck, Herzprobleme u.a. Art und der Umfang der Nebenwirkungen sind bei den jeweiligen Wirkstoffen unterschiedlich. Mitunter – aber nicht immer – können bestimmte Nebenwirkungen sogar eine gute Wirksamkeit der Therapie anzeigen. 

(kvk) (pp)


Quellen:


Dempke Wolfram: Molekulare Therapie in der Hämatologie/Onkologie, Uni-Med Verlag 2008

Gutzmer, R. & Strumberg, D.: Risiko und Management von Nebenwirkungen zielgerichteter Therapien. Der Onkologe 2013, 19(10):863-869

Verslype, C. et al.: Rash as a marker for the efficacy of gemcitabine plus erlotinib-based therapy in pancreatic cancer: Results from the AViTA Study. Journal of Clinical Oncology 27:15s, (2009), (suppl; abstr 4532)

Letzte inhaltliche Aktualisierung am: 10.09.2014

Weitere Therapiemaßnahmen bei Krebs:

Zuletzt aufgerufen am: 18.03.2024 13:05