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Chemotherapie bei Hirntumoren

Chemotherapeutika sind Medikamente, die mit dem Ziel eingesetzt werden, Tumorzellen abzutöten oder zumindest ihre weitere Vermehrung zur verhindern. Je nach Tumorart werden unterschiedliche Chemotherapeutika allein oder in Kombination eingesetzt. Da sich Tumorzellen bezüglich der Mechanismen von Wachstum und Vermehrung nicht grundsätzlich von normalen Zellen des Körpers unterscheiden, kommt es zu Nebenwirkungen bei solchen Zellen des Körpers, die sich rasch vermehren und die rasch erneuert werden müssen, z.B. den Zellen des peripheren Blutes. Aus diesem Grund kann auch die Dosis der Chemotherapie nicht beliebig hoch gewählt werden, weil sonst das Ausmaß der Nebenwirkungen nicht akzeptabel wäre. Bei der Chemotherapie wird demnach immer die Strategie verfolgt, die Wirkung auf den Tumor maximal zu gestalten und das gesunde Gewebe möglichst zu schonen.

Bei der Behandlung von Hirntumoren tritt die Besonderheit hinzu, dass Gehirn und Rückenmark durch die Blut-Hirn-Schranke vom Blutkreislauf abgegrenzt sind. Diese Schranke dient als Schutzmechanismus und erlaubt nur den Übertritt bestimmter Moleküle in ausreichenden Mengen in das Gehirngewebe.
Da diese Blut-Hirn-Schranke zwar bei den meisten bösartigen Tumoren gestört ist, nicht jedoch bei den gutartigen Tumoren, werden vorzugsweise solche Substanzen in der Behandlung von Hirntumoren eingesetzt, die diese Schranke passieren können. Die meisten in der Hirntumortherapie eingesetzten Chemotherapeutika schädigen direkt die Erbsubstanz (DNA) der Tumorzellen. Beispiele sind:

  • Nitrosoharnsoffe (ACNU, BCNU, CCNU)
  • Temozolomid
  • Procarbacin

Andere Substanzen stören den Stoffwechsel der Tumorzellen, speziell die Stoffwechselvorgänge, die für die Neubildung der Erbinformation (DNA) wichtig sind. Beispiele hierfür sind:

  • Methotrexat (MTX)
  • Cytarabin (Ara-c)

Nitrosoharnstoffe
Die Nitrosoharnstoffe ACNU (Nimustin), BCNU (Carmustin) und CCNU (Lomustin) gehören zu den am häufigsten eingesetzten Zytostatika in der Behandlung von Hirntumoren, speziell Gliomen. Die Nitrosoharnstoffe wirken über eine Schädigung (Alkylierung) der Erbsubstanz (DNA) von Tumorzellen. Sie gelangen relativ gut über die Bluthirnschranke auch zu Tumoranteilen, die jenseits der Bluthirnschranke liegen.

In Deutschland wird CCNU vor allem im Rahmen der PCV-Kombinationstherapie eingesetzt, während BCNU nur noch wenig benutzt wird, weil vermutlich die Nebenwirkungsrate (Lungenschädigung) bei BCNU höher ist als bei den anderen Nitrosoharnstoffen. ACNU wird vor allem aufgrund der guten Ergebnisse der NOA-01-Studie in Kombination mit einem anderen Zytostatikum, VM26 (Teniposid) eingesetzt. Neben der Lungentoxizität der Nitrosoharnstoffe, die vermutlich bei BCNU am größten ist (s.o.), führen die Nitrosoharnstoffe wie auch andere Zytostatika zu einer Veränderung der Blutwerte, insbesondere der Thrombozyten und der Leukozyten. Im Unterschied zu anderen Zytostatika tritt der tiefste Wert für die Blutzellen, der Nadir genannt wird, verspätet ein, d. h., der Nadir ist erst nach 5-6 Wochen, manchmal auch noch später, zu erwarten. Dies erklärt, warum die Intervalle zwischen einzelnen Zyklen der Chemotherapie bei Behandlung mit diesen Substanzen länger sein müssen als bei anderen Zytostatika.

Temozolomid
Temozolomid ist eine DNA-schädigende (alkylierende) Substanz, die im letzten Jahrzehnt für die Gliom-Therapie entwickelt und zugelassen wurde und bezüglich ihrer Wirksamkeit bei vielen anderen Hirntumoren getestet wurde. Temozolomid penetriert die Bluthirnschranke gut. Vergleichende Studien zur Wirksamkeit zwischen Nitrosoharnstoffen und Temozolomid fehlen. Gegenüber den Nitrosoharnstoffen ist Temozolomid jedoch besser verträglich. Eine vergleichbare Lungentoxizität tritt nicht auf. Bei Temozolomid fehlt auch die Langzeittoxizität für das Knochenmark, die den dauerhaften Einsatz von Nitrosoharnstoffen einschränkt. Die Wirksamkeit von Temozolomid ist für die Ersttherapie und Rezidivtherapie bei hoch malignen Gliomen (anaplastische Tumoren und Glioblastom) gut belegt und bei gutartigeren Tumoren naheliegend.

Procarbazin
Procarbazin ist eine DNA-schädigende (alkylierende) Substanz, die nur noch selten als Monotherapie eingesetzt wird, jedoch weiterhin im Rahmen des PCV-Kombinations-Chemotherapie-Protokolls eine Bedeutung besitzt. Die wichtigsten Nebenwirkung außer der Veränderung des Blutbilds ist eine Hautallergie, die eine Fortführung der Therapie oft nicht möglich macht.

Topoisomerase-I-Hemmstoffe
Topoisomerasen sind Enzyme, die für die Reparatur und Vermehrung der Erbsubstanz (DNA) von Bedeutung sind. Topoisomerase-I-Hemmstoffe wie Topotecan spielen bisher eine untergeordnete Therapie in der Behandlung von Hirntumoren. Für Topotecan wurde eine mäßige Wirksamkeit im Rezidiv von Glioblastomen Die Veränderung des Blutbilds ist die wichtigste Nebenwirkung.

Topoisomerase-II-Hemmstoffe
Topoisomerasen sind Enzyme, die für die Reparatur und Vermehrung der Erbsubstanz (DNA) von Bedeutung sind. Die Topoisomerase-II-Hemmstoffe VP16 (Etoposid) und VM26 (Teniposid) werden meist in Kombination mit anderen Substanzen, wie z.B. Nitrosoharnstoffen (ACNU) oder Platinderivaten, eingesetzt. Blutbildveränderungen sind die wichtigste Nebenwirkung.

Methotrexat (MTX)
Für die Bildung von DNA benötigt der Körper Folsäure. MTX hemmt diejenigen Stoffwechselschritte bei der Bildung der DNA, für die Folsäure gebraucht wird. MTX spielt eine zentrale Rolle in der Chemotherapie der primären zerebralen Lymphome. Zudem wird MTX häufig für die lokale (intrathekale) Chemotherapie bei einer Tumorzellaussaat im Liquorraum bei zahlreichen Primärtumoren eingesetzt und für diesen Zweck direkt in den Liquorraum injiziert. Dies erfolgt über eine Lumbalpunktion am Rücken oder über ein Reservoir am Schädel (Ommaya-Reservoir, Rickham-Reservoir), dessen Ausgang im rechten Seitenventrikel des Gehirns liegt. Vor der Behandlung mit MTX, insbesondere in hoher Dosis, muss die Nierenfunktion bestimmt und während der Therapie sorgfältig kontrolliert werden.

Cytarabin (Ara-C)
Ara-C ist wie MTX ein Zytostatikum, das die Bildung der Erbinformation stört und vor allem systemisch (intravenös) zur Behandlung von Lymphomen sowie für die lokale (intrathekale) Chemotherapie eingesetzt wird.

Vincristin
Vincristin ist ein "Spindelgift", das die Zellteilung stört und in der Neuroonkologie vor allem im Rahmen des PCV-Polychemotherapie-Protokolls bei der Behandlung der Gliome, vor allem der Oligodendrogliome, eingesetzt wird. Zudem spielt es eine Rolle in der Lymphom-Therapie. Wichtigste Nebenwirkung ist die Schädigung der peripheren Nerven (Polyneuropathie). Vincristin darf unter keinen Umständen intrathekal injiziert werden.

Bevacizumab (Avastin)
Bevacizumab hemmt die Neubildung von Blutgefässen im Tumor und normalisiert Blutgefässe. Es ist in den USA und einigen europäischen Ländern, nicht jedoch in Deutschland, für die Rezidivtherapie des Glioblastoms zugelassen. Aktuell ist es in Deutschland nur in klinischen Studien oder als individualler Heilversuch nach Kostenübernahmeantrag bei der Krankenkasse verfügbar. Unter Avastin verbessern sich die bildgebenden Befunde oft dramatisch, die Dauer des Ansprechens auf die Therapie unterscheidet sich jedoch im Durchschnitt nur unwensentlich von dem anderer Chemotherapien. Hauptnebenwirkungen sind Blutungen und Thrombiosen sowie erhöhter Blutdruck und Nierenschädigung.

Molekulare Substanzen
Eine Reihe von Substanzen mit molekularen Zielen auf oder in Tumorzellen sind klinisch erprobt worden oder befinden sich in der klinischen Prüfung. Keine der Substanzen ist bisher für den Einsatz bei Hirntumoren zugelassen. Neben Avastin ist Cilengitide, ein Hemmstoff von Tumorzell-Invasion iund Blutgefässbildung im Tumor, in einer späten Phase der klinsichen Erprobung.


(red)

Quellen:
Tonn Jörg-Christian et al: Oncology of CNS Tumors, Springer Verlag 2010

Quelle und Copyright: Neuroonkologische Arbeitsgemeinschaft (NOA)
Link zur NOA: www.neuroonkologie.de

 

Letzte inhaltliche Aktualisierung am: 10.10.2012

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