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Entspannungstechniken für Krebspatienten
Viele Krebspatienten kennen Gefühle wie innere Unruhe, Nervosität und Angst nur zu gut. Müdigkeit, Abgeschlagenheit, körperliche Verspannungen sowie Anspannung während und nach einer Krebstherapie sind belastend. Dazu kommen neue Anforderungen im Alltag. Entspannungsverfahren können Krebspatienten helfen, Verspannungen und Verkrampfungen zu lösen, Ängste zu mildern und die eigenen Kräfte zu stärken. Aber auch bei Schlafstörungen und körperlichen Beschwerden haben sie sich als hilfreich erwiesen.
Entspannungsverfahren haben ein sehr breites Einsatzgebiet und werden insbesondere während chemotherapeutischer Behandlungen angewendet, um deren möglichen Nebenwirkungen, wie Übelkeit, Angst, anhaltende Erschöpfungszustände (Fatigue), Störungen des Konzentrationsvermögens und Beeinträchtigung des Gedächtnisses zu vermindern. (1) "Entspannungstechniken sind Verfahren zur Stärkung der eigenen Energien, der eigenen Kraft, der eigenen Ressourcen und haben daher eine sehr breite Anwendung und können bei entsprechender Übung erfolgreich eingesetzt werden", erklärt Prof. Weis, Leiter der Abteilung Psychoonkologie der Klinik für Tumorbiologie in Freiburg.
Es gibt viele verschiedene Entspannungsmethoden, die den Körper und das Vorstellungsvermögen beeinflussen. Alle Verfahren wirken auf neuronaler Ebene: Der sogenannte Parasympathikus (Ruhenerv) wird aktiviert, während der Sympathikus, der leistungssteigernde Impulse an die Organe sendet, gehemmt wird, sodass Entspannung eintritt. Wir stellen Ihnen vier Verfahren vor:
Progressive Muskelentspannung nach Edmund Jacobsen
Die progressive Muskelentspannung (kurz PME; auch progressive Muskelrelaxation, kurz PMR, progressive Relaxation, kurz: PR, oder Tiefenmuskelentspannung) ist ein Verfahren, bei dem durch die willentliche An- und Entspannung bestimmter Muskelgruppen ein Zustand tiefer Entspannung des ganzen Körpers erreicht werden soll. (2) Sie geht auf den US-amerikanischen Arzt Edmund Jacobson zurück und wird deshalb auch Muskelentspannung nach Jacobsen genannt.
Es geht darum, einzelne Muskelgruppen im Körper zunächst anzuspannen, die Spannung für einige Sekunden zu halten und dann die Körperpartien wieder zu entspannen. Auf diese Weise wird der Körper schrittweise gelockert und schließlich ganz entspannt, sodass auch Schmerzen reduziert werden. Wesentliches Element der Übungen ist die Achtsamkeit des Übenden für die empfundenen Unterschiede zwischen Anspannung und Entspannung. (4)
Oft lässt sich schon nach kurzer Zeit mit Hilfe der PME eine Entspannung der Tiefenmuskulatur erreichen. Progressiv, also voranschreitend, ist das Training, weil der Übende mit fortschreitender Praxis und schrittweise immer besser lernt, die wichtigen Muskelgruppen wahrzunehmen und zu entspannen. (3) So können Angststörungen, Schlafstörungen, Schluckbeschwerden, Verspannungen der Muskulatur und gastrointestinale Störungen reduziert werden. (1)
Progressive Muskelentspannung ist schnell erlernbar. Viele Krankenkassen und weitere Organisationen im Gesundheitsbereich bieten solche Lernprogramme sogar kostenlos an. Alternativ gibt es Kurse, in denen Interessierte eine persönliche Anleitung bekommen. (5)
Patienten, die unter Schmerzen leiden oder durch die Krebsbehandlung körperlich sehr beeinträchtigt sind, sollten jedoch vorab solche Übungen mit ihrem Arzt absprechen.
Autogenes Training
Über eine körperliche Entspannung hinaus soll beim autogenen Training ein Zustand innerer Ruhe, Gelassenheit und wohliger Wärme erreicht werden.
Das autogene Training nutzt die Fähigkeit des Menschen, sich Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen so plastisch vorzustellen, dass sie darauf körperlich reagieren. Fachleute sprechen auch von "Autosuggestion", einer Art "Selbsthypnose", bei der man die äußeren Reize ausblendet und sich selbst in einen Zustand der Ruhe versetzt. Die Selbstsuggestion erfolgt in kurzen Sätzen wie z.B. „Der rechte Arm ist ganz schwer“. (6) Unter fachlicher Anleitung werden solche Sätze zur Wahrnehmung und Entspannung verschiedener Körperbereiche und Körperfunktionen erlernt.
Alle Übungen werden durch Ruhevorstellungen begleitet: „Ich bin ganz ruhig“. Nach einiger Übung stellt sich das vegetative Nervensystem um und schaltet von Spannung auf Entspannung. Manche Krebspatienten machen die Erfahrung, dass sie mit Hilfe des Trainings die Nebenwirkungen der Chemotherapie besser vertragen, weniger Schmerzen haben und Ängste gelindert werden. (6)
Auch autogenes Training können Krebspatienten unter Anleitung in Kursen erlernen oder mit Hilfe von Büchern oder CDs. Im Vergleich zu anderen Entspannungsverfahren ist eine längere Übungsphase erforderlich. (5)
Visualisierungsübungen/ Gelenkte Imagination
Bei Visualisierungsübungen stellen sich Patienten angenehme Bilder vor, die positive Gefühle wecken. (6)
Zunächst werden die Übenden in einen entspannten Zustand geführt. Danach, in der bildhaften Vorstellung, werden möglichst viele Sinne angesprochen: Sehen, Riechen, Schmecken, Hören, Fühlen. Man stellt sich beispielsweise einen ganz persönlichen Ort der Ruhe und der Kraft vor: Das kann ein Ort aus der Erinnerung sein (z.B. aus dem Urlaub) oder ein frei erfundener. Mit der Vorstellungskraft werden dort Gerüche, Geräusche und die Umgebung wahrgenommen. Die Übenden stellen sich vor, wie sie an diesem Ort Kraft tanken und zur Ruhe kommen. (6)
Das Vergegenwärtigen dieser Bilder führt zu körperlichen und seelischen Reaktionen: Puls und Atmung werden langsamer, der Blutdruck sinkt etwas ab und der Körper regeneriert sich. Die angenehmen Empfindungen lassen einen zur Ruhe kommen und gestärkt in den Alltag zurückkehren. (6)
Unter professioneller Anleitung lernt man die Visulisierungstechniken am besten. Sie gehören zu den Verfahren, mit denen viele Ärzte und Psychotherapeuten bei der Betreuung von Krebspatienten arbeiten. (5)
Meditation
Die Meditation ist keine Entspannungstechnik im engeren Sinne, sondern dient der inneren Beruhigung und Konzentration. Ziel der klassischen Meditation ist es, spirituelles Wachstum zu fördern und das Bewusstsein zu erweitern. Durch meditative Versenkung wird ein Zustand tiefer innerer Ruhe erreicht. Wichtig ist bei der Meditation das Prinzip des „Gehen-Lassens“ und der passiven Grundhaltung. Ganz vereinfacht unterscheidet man „rezeptive“ und „konzentrative“ Meditationsformen. (6)
In der rezeptiven Meditation wird ein Zustand der Ziellosigkeit akzeptiert und jeder Gedanke und jedes Bild darf zum inneren Bewusstsein gelangen. Bei der konzentrativen Meditation dagegen fokussiert sich der Übende auf seinen Atem, ein Objekt, einen Klang oder ein Wort. (6)
Volkhochschulen, Familienbildungsstätten, Rehakliniken, therapeutische Praxen und einige Beratungseinrichtungen für Krebskranke bieten qualifizierte Kurse zur Einübung dieser Entspannungsverfahren an. (5)
Sport bei Krebs
Nicht zu vernachlässigen ist der Beitrag, den körperliche Bewegung zur Entspannung liefern kann. Sport baut Stresshormone ab und hilft sowohl die Nebenwirkungen einer Krebstherapie messbar zu reduzieren als auch entspannter zu werden. Weitere Informationen finden Sie hier.
Wirksamkeit von Entspannungsverfahren
Die Lebensqualität von Krebspatienten in Therapie und Nachsorge erhöht sich durch die Anwendung von Entspannungsübungen. (7) Alles, was Anspannung, Angst und Verkrampfung lindert, kann Krebspatienten dabei helfen, ihre Erkrankung besser zu verarbeiten und die täglichen Anforderungen ihrer Behandlung möglichst gut zu bewältigen. "Entspannung ist für Patienten eine wichtige Aufgabe, da sie durch die Krankheit und Behandlung unter enormen Stress gesetzt werden", merkt Prof. Weis an. Was sich Krebspatienten von den einzelnen Verfahren versprechen können, wurde zum großen Teil in wissenschaftlichen Studien untersucht. (1) (4)
„Die Wirksamkeit von Entspannungsverfahren, insbesondere zur Reduzierung von Angst und Übelkeit, aber auch zur Verbesserung der Lebensqualität und Verminderung der psychischen Belastung kann somit als belegt gelten“, so die Aussage der interdisziplinären S3-Leitlinie Psychoonkologie. (1)
Was kann erreicht werden:
- Verbesserung des Wohlbefindens
- Reduktion von Übelkeit und Stress
- Mehr Lebensqualität
- Reduzierung von Depressivität
- Reduzierung von psychischer Belastung
- Aktivierung der Körperwahrnehmung
- Förderung der Konzentrationsfähigkeit
- Reduzierung der Angstgefühle
- Schmerzbewältigungsfähigkeit (8)
Keinesfalls aber sollte man erwarten, dass Entspannungsverfahren die Wirksamkeit einer konventionellen Krebstherapie verbessern oder sie sogar ersetzen können. Anbieter, die mehr versprechen, sind nicht seriös. (6)
Fachberatung:
Prof. Dr. Joachim Weis, Klinik für Tumorbiologie Freiburg, Psychosoziale Abteilung
Experteninterview zum Thema
Warum sind Entspannungstechniken bei Krebs hilfreich? In welcher Phase einer Krebserkrankung sind Entspannungstechniken besonders sinnvoll? Mit welchem der vier beschriebenen Verfahren arbeiten Ärzte und Psychotherapeuten bei der Betreuung von Krebspatienten am häufigsten?
Diese und weitere Fragen beantwortet Prof. Dr. Joachim Weis, Leiter der Abteilung Psychoonkologie in der Klinik für Tumorbiologie Freiburg, im Breisgau.
Literatur:
(1) S3-Leitlinie: Psychoonkologische Diagnostik, Beratung und Behandlung von erwachsenen Krebspatienten, Langversion 1.1, 2014, AWMF-Registernummer: 032/051OL, online abrufbar unter http://leitlinienprogramm-onkologie.de/Psychoonkologie.59.0.html, abgerufen am 13.10.2015
(2) Krebs und Sport: Regeneration und Stärkung für Körper – Seele – Geist, Informationen und praktische Ratschläge zum Thema Bewegung bei und nach Krebstherapie. Hrsg. Bayerische Krebsgesellschaft. 4. Auflage, September 2014
(3) Jacobson, E: Entspannung als Therapie. Progressive Relaxation in Theorie und Praxis. 3. Aufl., Pfeiffer Verlag, München, 1996
(4) Mayer, KC.: Progressive Muskelentspannung – Jacobson Entspannungstraining – oder Progressive Muskelrelaxation (PMR) http://www.neuro24.de/entspan.htm, abgerufen am 14.01.2015
(5) http://www.krebsinformationsdienst.de/aktuelles/2013/news60.php, abgerufen am 09.01.2015
(6) Dorfmüller, Monika, Dietzfelbinger, Hermann (Herausgeber): Psychoonkologie: Diagnostik ‒ Methoden ‒ Therapieverfahren, Urban & Fischer Verlag, 2009
(7) Lübbert K et al.: The effectiveness of relaxation training in reducing treatment-related symptoms and improving emotional adjustment in acute non-surgical cancer treatment: a meta-analytical review. Psychooncology 2001; 10: 490-502. DOI: 10.1002/pon.537., abrufbar unter http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/11747061, abgerufen am 12.01.2015
(7) Schmauser C et al.: Einfluss des Qigong auf die Lebensqualität onkologischer Patienten. Forum2012;27 (4): 287-291, abrufbar unter http://link.springer.com/article/10.1007%2Fs12312-012-0807-7, abgerufen am 14.02.2015
(8) Patientenratgeber: Schmerzen bei Krebs, Hrsg. dkg-web.gmbh, 1. Auflage 2014
(9) Deng GE et al.: Evidence-based clinical practice guidelines for integrative oncology: complementary therapies and botanicals. Society for Integrative Oncology. J SocIntegrOncol. 2009;7(3):85-120. DOI: 10.2310/7200.2009.0019.
Service:
Entspannungstechniken gehören zum gängigen therapeutischen Angebot für Krebspatienten. (9) Auf entsprechende Informationen und Kurse stößt man oft schon während der Behandlung im Krankenhaus oder in Rehakliniken. Je nach Anbieter übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für professionelle Kurse. Am besten erkundigt man sich vor der Teilnahme an den Kursen über die Kostenübernahme bei den jeweiligen Krankenkassen. (5)
Einige Kassen bieten zudem eigene Kurse an, die für Versicherte kostenfrei oder besonders günstig sind. Welche Leistungen die privaten Versicherungen übernehmen hängt vom individuellen Tarif ab. (1)
Auch regionale Krebsberatungsstellen bieten selbst, umsonst oder gegen eine geringe Gebühr, entsprechende Entspannungskurse an. Desweitern können Krebspatienten an den zahlreichen Entspannungstrainings von Volkshochschulen, Fitnessstudios oder Sportvereinen teilnehmen. (5)
Literaturtipp:
Herschbach P (Hrsg.) 2014 Die Seele stärken: Wie Psychotherapie bei Krebs helfen kann. Patmos Ostfildern (insbesondere das Kapitel 17 B. Thema Entspannung, S. 121-137)
Linktipps:
S3-Leitlinie: Psychoonkologische Diagnostik, Beratung und Behandlung von erwachsenen Krebspatienten. Herausgeber: Leitlinienprogramm Onkologie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF), Deutschen Krebsgesellschaft e. V. (DKG) und Deutschen Krebshilfe e. V. (DKH)
http://leitlinienprogramm-onkologie.de/Psychoonkologie.59.0.html
Das Deutsche Krebsforschungszentrum – Krebsinformationsdienst informiert über Entspannungstechniken für Krebspatienten und hat Adressen für Beratungsstellen zusammengestellt:
http://www.krebsinformationsdienst.de/aktuelles/2013/news60.php
Eine Hauptaufgabe der 16 Landeskrebsgesellschaften ist die psychosoziale Hilfe und Beratung von Krebspatienten und Angehörigen. Sie bieten auch regelmäßig Veranstaltungen zu Entspannungstechniken für Krebsbetroffene an:
https://www.krebsgesellschaft.de/landeskrebsgesellschaften.html
Die Deutsche Krebshilfe hat ein Video zur Progressiven Muskelentspannung bereitgestellt: http://www.krebshilfe.de/metanavigation/mediathek/mediathek-begleitende-therapien/video/progressive-muskelentspannung/browsevideo/1.html
Hier erhalten Sie einen Überblick über die verschiedenen Entspannungsverfahren: http://www.biokrebs.de/therapien/seele-und-koerper/psychoonkologische-therapieverfahren
Wichtige Informationen zu Krankenkassenleistungen bei alternativen Krebstherapien finden Sie hier:
http://www.krankenkassen.de/gesetzliche-krankenkassen/leistungen-gesetzliche-krankenkassen/alternative-heilmethoden/alternative-krebstherapie/
Laufende Studien (9):
BEATE – Studie: Bewegung und Entspannung als Therapie gegen Erschöpfung
http://www.nct-heidelberg.de/das-nct/abteilungen/praeventive-onkologie/aktivitaeten/bewegung-krebs/beate-studie.html
BEST – Studie: Bewegung und Entspannung für Brustkrebspatientinnen unter Strahlentherapie
http://www.nct-heidelberg.de/das-nct/abteilungen/praeventive-onkologie/aktivitaeten/bewegung-krebs/best-studie.html
PETRA-Studie: Langzeit-Effekte von Bewegung und Entspannung nach allogener Stammzelltransplantation
http://www.nct-heidelberg.de/das-nct/abteilungen/praeventive-onkologie/aktivitaeten/bewegung-krebs/petra-studie.html
Weitere Informationen zum Thema:
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