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Die Entwicklung neuer Krebsmedikamente - von der Forschung in die Praxis

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Die Krebsforschung arbeitet intensiv daran, Erkenntnisse der Grundlagenforschung zu Krebsentstehung und Krebswachstum zügig für die Entwicklung neuer Medikamente zu nutzen. Targeted Cancer Therapy - gezielte Krebstherapie - lautet das Stichwort. Zwar hat der glückliche Zufall auch heute noch bei der Entdeckung neuer Wirksubstanzen seine Hand im Spiel. Meist sind die Fortschritte der modernen Krebstherapie aber das Resultat einer systematischen Entwicklung von Arzneimitteln auf bestimmte Zielstrukturen hin.

Das Tumorwachstum bremsen

Frau guckt durch Mikroskop
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Ein Beispiel ist die Entwicklung monoklonaler Antikörper , die heute unter anderem in der Brustkrebsbehandlung eingesetzt werden. Wissenschaftler hatten herausgefunden, dass die Tumorzellen jeder vierten Brustkrebspatientin auf ihrer Oberfläche besonders viele Andockstellen für einen bestimmten Wachstumsfaktor – sogenannte HER2-Rezeptoren – aufweisen. Wenn es gelänge, diese HER2-Rezeptoren zu blockieren – so die Überlegung – müsste das Tumorwachstum gebremst werden. Gezielt wurde daraufhin ein monoklonaler Antikörper „designt“, der wie ein Schlüssel ins Schloss des HER2-Rezeptors passt. Und die Rechnung ist aufgegangen: Bei Brustkrebs mit hoher HER2-Rezeptordichte können monoklonale Antikörper das Tumorwachstum verlangsamen und die Überlebenszeit verlängern. Allerdings kommen HER2-Rezeptoren in geringerem Umfang auch auf gesunden Zellen wie dem Herzmuskelgewebe vor, so dass die mit den spezifischen monoklonalen Antikörpern behandelten Patientinnen kardiologisch überwacht werden sollten.

Den Krebs gezielt angreifen

Dieses Prinzip ist zweckentfremdet worden, um im Labor therapeutisch wirksame monoklonale Antikörper herzustellen, die ganz unterschiedliche krankhafte Prozesse gezielt beeinflussen können. Inzwischen sind bereits einige monoklonale Antikörper zur Krebsbehandlung zugelassen, und weitere befinden sich in der Pipeline bzw. werden in klinischen Studien erprobt.

Ein weiterer vielversprechender Ansatz bei der Entwicklung neuer Krebsmedikamente ist die Aktivierung der Apoptose, des vorprogrammierten Zelltods bei entarteten Zellen: Alle Zellen - auch Krebszellen - enthalten ein genetisches Programm, dessen Aktivierung zur Selbstzerstörung der Zelle führt. Krebszellen sind allerdings raffiniert, und viele von ihnen haben Tricks entwickelt, mit deren Hilfe sie sich dem Zugriff der Immunpolizei entziehen. Normalerweise können Immunzellen bei bedrohlichen Störfällen „per Knopfdruck“ das Selbstzerstörungsprogramm der betreffenden Zellen aktivieren. Medikamente, welche die Tricks der Krebszellen aushebeln und deren Selbstzerstörungsprogramm in Gang setzen können, wären von unschätzbarem Wert.

Wirkstoffsuche in der Natur

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Abgesehen vom zielgerichteten Design neuer Wirkstoffe werden auch bereits vorhandene Substanzen systematisch daraufhin untersucht, ob sie bei der Krebsentstehung relevante Phänomene beeinflussen können. Dazu werden entsprechende in-vitro-Tests im Reagenzglas bzw. in Zellkulturen entwickelt. Eine Vielzahl unterschiedlicher Substanzen wird durch diese Testbatterien geschickt - synthetische Stoffe ebenso wie Naturstoffe.

Ein Naturstoff, der seit gut zehn Jahren in der Krebstherapie angewendet wird, ist Paclitaxel, ein Inhaltsstoff der Pazifischen Eibe. Dessen zytostatische - die Zellvermehrung hemmende - Wirkung wurde bereits 1966 entdeckt, allerdings war die Gewinnung der natürlichen Wirksubstanz wegen des begrenzten Angebots schwierig. Weltweit arbeiteten Forscher deshalb an der Entschlüsselung der komplizierten Molekülstruktur mit dem Ziel, den Wirkstoff im Labor herzustellen. Seit 2002 kann der Wirkstoff in großen Mengen aus Eibenzellkulturen gewonnen werden.

Langer, steiniger Weg zur Zulassung

Von ersten Hinweisen auf eine günstige Wirkung bis hin zur Zulassung eines neuen Medikaments ist es ein langer, kostspieliger und nicht selten steiniger Weg. Zunächst muss ein neuer Wirkstoff identifiziert werden (drug discovery), danach beginnt die eigentliche Entwicklung des Medikaments (drug development). In der Regel vergehen 10 bis 15 Jahre, bis aus einem neuen Wirkstoff, der häufig noch chemisch modifiziert werden muss, ein marktreifes Medikament entsteht. Die meisten zunächst interessanten Wirkstoffe schaffen es erst gar nicht bis dahin, sondern bleiben im Verlauf des langen Prüfverfahrens auf der Strecke.

Wenn Tests in Zellkulturen außerhalb des Organismus (in-vitro-Tests) überzeugende Hinweise auf einen möglichen therapeutischen Nutzen liefern, werden im zweiten Schritt Untersuchungen am Tiermodell durchgeführt. Neben der Wirksamkeit wird dabei auch die Verträglichkeit der vielversprechenden Substanz unter die Lupe genommen.

Ist auch diese Hürde genommen, beginnt die klinische Medikamentenprüfung am Menschen. Zunächst werden in Phase I Sicherheit, Verträglichkeit und pharmakokinetische Eigenschaften an einer kleinen Zahl von Testpersonen überprüft. Es gibt keine Wirkung ohne Nebenwirkung, das ist ein Grundsatz jeder Arzneimitteltherapie. Trotzdem kann man bei der Entwicklung neuer Medikamente Nebenwirkungen reduzieren: Je spezifischer Medikamente in den Stoffwechsel von Krebszellen eingreifen und je weniger sie gesunde Körperzellen behelligen, desto besser wird die Verträglichkeit sein. Bei klassischen Zytostatika handelt es sich dagegen um unspezifische Zellgifte, die keinen Unterschied zwischen kranken und gesunden Zellen machen. Und deshalb eine Vielzahl von Nebenwirkungen, weil es sich um unspezifische Zellgifte handelt.

Kontrollierte klinische Prüfung

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In der Phase II der klinischen Prüfung geht es vor allem darum, den therapeutischen Ansatz zu überprüfen (proof of concept) und die optimale Dosierung des neuen Wirkstoffs zu finden. In Phase III kommt dann der eigentliche Härtetest: In randomisiert kontrollierten Studien (RCT: randomized controlled trial) an hunderten bis tausenden Patienten muss das neue Medikament zeigen, was es wirklich kann. Dazu werden vergleichbare Patientengruppen entweder mit dem neuen Medikament (Verumgruppe) oder einem Placebo (einem Scheinmedikament ohne wirksamen Inhaltsstoff) bzw. einem Standardmedikament (Kontrollgruppe) behandelt. Die Zuordnung der Patienten zu den zu vergleichenden Behandlungsgruppen erfolgt randomisiert, d.h. nach dem Zufallsprinzip. Bei Krebserkrankungen verbieten sich allerdings Studien mit Placebo meist aus ethischen Gründen. Die größte Aussagefähigkeit besitzen doppelblind durchgeführte Studien, bei denen weder die Patienten noch die behandelnden Ärzte wissen, wer welches Medikament bekommt. Auf diese Weise sollen psychologische Verfälschungen vermieden werden.

Vor Beginn jeder Studie wird festgelegt, anhand welcher Zielgrößen man den Behandlungserfolg messen will. Das kann bei Studien in der Onkologie unter anderem die durchschnittliche Überlebenszeit sein oder der Zeitraum, in dem das Tumorwachstum nicht fortschreitet. Auch die Lebensqualität ist in onkologischen Studien eine wichtige und häufig untersuchte Zielgröße. Verlaufen die klinischen Studien der Phase III erfolgreich, sind die Voraussetzungen geschaffen, um den Zulassungsantrag für das neue Medikament zu stellen.

Nach Einreichung der Zulassungsunterlagen bei der nationalen Zulassungsbehörde, dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn, oder auf EU-Ebene bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) wird zunächst eine formale Prüfung auf Vollständigkeit durchgeführt, bevor die inhaltliche Bewertung erfolgt. Die Grundlagen für den Ablauf des Genehmigungsverfahrens sind gesetzlich festgelegt. Nachdem das Bewertungsergebnis vorliegt, wird entweder eine Zulassungsempfehlung („Positive Opinion") oder die Empfehlung zur Ablehnung („Negative Opinion") des Medikaments verabschiedet. Nach Erteilung der Zulassung kann der Hersteller das neue Präparat unverzüglich Ärzten und Patienten zur Verfügung stellen.

Was passiert nach der Zulassung?

Nach Zulassung des neuen Medikaments finden klinische Phase IV-Prüfungen statt, in denen große Patientenkollektive über längere Zeit untersucht werden, um seltene Nebenwirkungen, aber auch mögliche neue Indikationen zu identifizieren.

Bevor das Medikament auf den Markt kommt, muss festgelegt werden, wie wieviel die gesetzliche Krankenversicherung für das neue Arzneimittel mit dem neuen Wirkstoff zahlt. Entscheidungsgrundlage dafür ist die sogenannte „frühe Nutzenbewertung“ – eine institutionalisierte Beurteilung, ob das neue Medikaments gegenüber vergleichbaren Therapien einen medizinischen Zusatznutzen bringt. Auf Basis dieser Nutzenbewertung verhandeln Kassen und Hersteller über den Erstattungspreis. Denn nur was mehr bringt als Altbewährtes ohne Patentschutz, darf auch mehr kosten.

Für Patienten bieten Studien unter Umständen eine Möglichkeit, um die Krankheit besser beherrschen zu können. Doch wie finde ich als Patient die passende Studie? Was sollten Patienten vor einer Teilnahme unbedingt wissen? Diese und weitere Fragen beantwortet Prof. Ralf Hofheinz, Vorsitzender der DKG-Kommission Klinische Studien in der Onkologie im Interview.

Prof. Ralf Hofheinz im Interview

Quelle: © dkg-web.gmbh

  

Letzte inhaltliche Aktualisierung am: 10.09.2014

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