Onkologische Versorgung in der Hausarztpraxis
Brennpunkt Onkologie vom 06.05.2015: Onkologische Versorgung in der Hausarztpraxis
Genaue Zahlen sind nicht bekannt, aber der Deutsche Hausärzteverband schätzt, dass die meisten Krebspatienten in der Palliativphase vom Hausarzt versorgt werden. Viele Brustkrebspatientinnen sind in der Nachsorge ebenfalls beim Hausarzt in Behandlung, in ländlichen Gebieten schätzungsweise 80 Prozent. Trotz dieser Präsenz im Versorgungsalltag ist das Thema Onkologie in der Hausarztpraxis nicht im Bewusstsein des Gesundheitssystems angekommen. Welche Versorgungsaufgaben übernimmt der Hausarzt in der onkologischen Versorgung? Wo sieht er seine Rolle in dieser Begleitung? Wie bewertet er die Zusammenarbeit mit anderen Versorgern? Welche Prozesse zwischen Hausarzt und Facharzt bzw. Klinik müssen gut laufen, damit die Versorgung von Krebspatienten optimal gelingt? Um diese Fragen ging es am 6. Mai 2015 beim Brennpunkt Onkologie unter dem Titel „Onkologische Versorgung in der Hausarztpraxis“.
Der Hausarzt: als Lotse unverzichtbar.
Durch die Verlagerung der Gesundheitsleistungen vom stationären in den ambulanten Sektor werde die Zusammenarbeit zwischen Fach- und Hausärzten immer wichtiger, so Dr. Anne Dahlhaus vom Institut für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität Frankfurt. In einem Forschungsprojekt untersucht sie derzeit das Rollen- und Kooperationsverständnis des Hausarztes in der Onkologie. Die qualitativen Interviews im Rahmen dieser Untersuchung zeigen: Hausärzte verstehen sich selbst als Unterstützer und Lotsen für ihre Patienten; sie kennen das familiäre Umfeld sowie die psychosomatischen Aspekte der Erkrankung und können deshalb einen wertvollen Beitrag zur Entscheidungsfindung bei der Therapie leisten, besonders wenn es um multimorbide oder demente Patienten geht. „Was die Zusammenarbeit mit Onkologen und Kliniken angeht, so greifen Hausärzte in der Regel auf ein persönliches Netzwerk zurück“, berichtete Dahlhaus bei der Brennpunktveranstaltung am 6. Mai. „Viele sagen, sie kooperieren nicht mehr mit großen Kliniken, weil dort die Ansprechpartner häufig wechseln würden. Stattdessen bevorzugen viele Hausärzte kleinere Kliniken, weil sie dort wissen, an wen sie sich wenden können.“
Der Austausch mit Fachärzten: Auf kurze Wege kommt es an.
Wer als Hausarzt in einem großen Ballungsgebiet arbeitet, hat viele Möglichkeiten, sich ein eigenes Netzwerk an Kooperationspartnern aufzubauen. „Großstädte bieten in dieser Hinsicht klare Vorteile“, erklärte Dr. Stephan Bernhardt, Facharzt für Allgemeinmedizin mit eigener Hausarztpraxis in Berlin. Für Bernhardt zählen bei der Auswahl seiner Kooperationspartner gute Erreichbarkeit und unkomplizierte Kommunikationswege. „Ein Telefonanruf zur raschen Verständigung mit dem Kollegen in der Klinik, keine langen Wartezeiten auf einen Facharzt- oder Kliniktermin für meine Patienten sowie Strukturen, die die Trennung zwischen Krankenhaus und niedergelassenem Bereich überbrücken, das wünsche ich mir für eine bessere Versorgung“, erklärte Bernhardt.
Ländliche Regionen: neue Versorgungskonzepte gefragt
Auch in ländlichen Gebieten seien die Patienten auf eine gute Zusammenarbeit zwischen Onkologen, Klinik- und Hausärzten angewiesen, bestätigte Dr. Ursula Vehling-Kaiser, Fachärztin für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie und Leiterin einer onkologischen Tagesklinik in Landshut. Im Einzugsgebiet ihrer Praxis würden Patienten für eine Chemotherapie weite Wege in Kauf nehmen. Für einige Indikationen stehen zwar mittlerweile zielgerichtete orale Medikamente zur Verfügung, aber nicht immer kämen die Patienten zuhause gut damit zurecht. Die Medikamente müssten sachgerecht gelagert werden, die Einnahme sollte zu bestimmten, mit dem Arzt besprochenen Zeiten und vor allem regelmäßig erfolgen. „Gerade bei den neuen Tyrosinkinase-Inhibitoren ist die Rate der Therapieabbrüche hoch. Viele dieser Medikamente kosten monatlich zwischen 6.000 und 8.000 Euro. Deswegen müssen wir in Zusammenarbeit mit den Hausärzten einen Weg finden, um die Therapieadhärenz zu verbessern“, forderte Vehling-Kaiser. Die Lösung: ein mobiler onkologischer Dienst, bei dem die Patienten regelmäßig zuhause von speziell weitergebildeten onkologischen Facharzthelferinnen oder Krankenschwestern aufgesucht werden. Das Projekt wird vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit gefördert. Nicht jeder Krebspatient kann daran teilnehmen, gedacht ist der Dienst vor allem für multimorbide Tumorpatienten. „Die Kassen konnten wir damit überzeugen, dass der Dienst an vielen Stellen Kosten spart: weniger Krankentransporte, weniger Therapieabbrüche und sinkende Therapiekosten“, erklärte Vehling-Kaiser. „Unser wichtigster Pluspunkt: Es besteht ein intensiver Kontakt zwischen uns und den jeweiligen Hausärzten ‒ anfangs befürchteten sie, wir würden ihnen die Hausbesuche wegnehmen. Das hat sich schnell geregelt. Der Rücklauf von den Hausärzten ist sehr positiv.“
Auch auf der Seite der Hausärzte sucht man nach Möglichkeiten für eine bessere Versorgung der Patienten in ländlichen Gebieten. Ein innovativer Ansatz ist das VERAH®-Pilotprojekt. Dabei werden Arzthelferinnen zur Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis (VERAH®) fortgebildet. So können sie die Hausärzte gezielt entlasten, zum Beispiel indem sie Hausbesuche übernehmen. „Wir sind die Anlaufstelle für Fragen, für die beim Arzt oft die Zeit fehlt. Bei unseren Hausbesuchen bekommen wir nicht nur mit, wie es den Patienten geht, sondern auch das ganze Drumherum, das Befinden der Angehörigen, die Wohnsituation und vieles mehr“, sagte Manuela Kausch-Deuschle, VERAH in einer Landarztpraxis. Solche Details seien wichtig für die optimale Patientenversorgung, besonders bei Krebspatienten.
Versorgungslandschaft Rheuma: Blaupause für die Onkologie?
Integrierte Versorgung in die Fläche zu bringen ist das Anliegen der Pro Versorgung AG, einer Initiative des Deutschen Hausärzteverbandes. „Dabei arbeiten wir mit Berufsverbänden, Fach-, Haus- und Klinikärzten zusammen und definieren für bestimmte Erkrankungen, z. B. Rheuma, sogenannte Versorgungslandschaften“, erläuterte Nicole Richter, Vorstandsmitglied der Pro Versorgung AG in Köln, ihre Arbeitsweise. Für die Versorgungslandschaft Rheuma würden mittlerweile Selektivverträge mit Krankenkassen abgeschlossen und umgesetzt. In den Konzepten seien klare Empfehlungen formuliert, beispielsweise wann ein Rheumapatient vom Hausarzt zum Rheumatologen überwiesen werden sollte und welche Informationen dabei übermittelt werden müssten. Dies helfe auch, lange Wartezeiten für einen Termin beim Facharzt zu vermeiden. Die Koordination der gesamten Behandlung durch den Hausarzt sowie die sektorenübergreifende Zusammenarbeit zwischen Hausärzten, Fachärzten und Klinikärzten stellten sicher, dass die Versorgung der Patienten strukturiert und patientenzentriert abläuft.
Podiumsdiskussion
Ob sich das Konzept zur Versorgungslandschaft Rheuma allerdings so leicht auf die Onkologie übertragen lässt, ist fraglich. Anders als in der Rheumatologie gibt es in der Onkologie mehr Notfälle und Nebenwirkungen, die schnelles Eingreifen erfordern. An der Behandlung Krebskranker sind viele verschiedene ärztliche und nichtärztliche Experten beteiligt. „Für uns Hausärzte bedeuten ein Mehr an Selektivverträgen oft mehr Bürokratie und nicht automatisch eine bessere Patientenversorgung“, so ein Kommentar aus dem Publikum. Ein Ansatz, bei dem der Zugang zur integrierten onkologischen Versorgung indikationsspezifisch, also selektiv für Brust-, Prostata-, Lungen- oder Darmkrebs gesucht wird, ist deshalb vermutlich sehr aufwendig, vor allem wenn man bedenkt, dass diese Krebsarten nur einen kleinen Teil aller in einer Hausarztpraxis betreuten Indikationen ausmachen. „Die Stärkung lokaler Netzwerke rund um den Krebspatienten ist aber sicher ein vielversprechender Weg hin zu einer verbesserten integrierten Versorgung“, so der abschließende Kommentar von Dr. Johannes Bruns, Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft.
Referenten
Dr. Stephan Bernhardt (Hausarzt, Berlin), Dr. Johannes Bruns (Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft, Berlin),
Dr. Anne Dahlhaus (stellvertretende Leiterin des Arbeitsbereichs Chronische Krankheit und Versorgungsforschung im Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt am Main), Manuela Kausch-Deuschle (Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis, Lauenbrück), Nicole Richter (Pro Versorgung AG, Köln), Dr. Ursula Vehling-Kaiser (Fachärztin für Innere Medizin, Hämatologie, Onkologie und Palliativmedizin, Mobiler Onkologischer Dienst Landshut)