Innovationsfonds - gelungener Einstieg und Perspektiven

 

Brennpunkt Onkologie vom 29.06.2017: Innovationsfonds - gelungener Einstieg und Perspektiven

Als im Brennpunkt Onkologie im Juni 2016 das Thema "Innovationsfonds – Status quo, prozessuale Umsetzung, inhaltliche Gestaltung, Strategie" diskutiert wurde, lief gerade die Antragsphase. Inzwischen hat der Gemeinsame Bundesausschuss entschieden, wer die ersten Gelder aus dem Innovationsfonds bekommen soll. Die knapp 30 geförderten Projekte für neue Versorgungsformen und über 60 geförderten Projekte der Vorsorgungsforschung sind auf der Webseite des Innovationsausschusses veröffentlicht und inzwischen gestartet. Wir stellten am 29.06.2017 im Brennpunkt Onkologie "Innovationsfonds – gelungener Einstieg und Perspektiven" eine Auswahl an geförderten Projekten speziell aus dem onkologischen Bereich vor. Die Projektverantwortlichen waren vor Ort. Zugleich sind wir gemeinsam mit dem Publikum und Experten über die Perspektiven ins Gespräch kommen: Wie können die geförderten Projekte die Versorgung verändern? Wie kommen sie in die Regelversorgung?

Barbara Koch: "Wir wollen bei jungen Menschen nach Krebs deren Lebensstil verbessern, um Langzeit- und Spätfolgen zu reduzieren."

Barbara Koch

Barbara Koch, Internistin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, stellte das Programm CARE for CAYA vor: "AYA steht für children, adolescents and young adults und bezieht sich auf junge Menschen, die eine Krebserkrankung im Kindes-, Jugend- oder jungen Erwachsenenalter haben. Unsere Idee ist, ein Programm für sie zu erstellen, um Lebensstilfaktoren zu verbessern. So sollen Langzeit- und Spätfolgen nach einer primär erfolgreich abgeschlossenen Krebserkrankung minimiert oder verhindert werden. In Vorarbeiten, zum Beispiel der Ernährungsstudie INAYA 1 und Zwischenauswertungen von INAYA 2 sowie der Sportstudie MAYA, haben wir gesehen, dass eine individuelle Beratung zu einem verbesserten Ernährungsstatus und zu intensiverer körperlicher Aktivität führen. Darauf bauen wir auf. Die Laufzeit geht über drei Jahre. Eine Studie, die in das Programm eingebettet ist, soll die Effektivität unserer Intervention nachweisen. Wir haben vom Innovationsfonds eine Zusage über 3,1 Millionen Euro. Das Geld wird auf die 14 teilnehmenden Zentren aufgeteilt. Wir können damit pro Zentrum im Interventionsbereich jeweils eine Viertelstelle Psychoonkologie, Ernährung und Sportberatung einrichten.

Und so ist das Programm im Groben aufgebaut: Alle Patienten, die im Rahmen der Nachsorge zu uns kommen, erhalten eine Bedarfsanalyse mit evaluierten Fragebögen. Zusätzlich werden medizinische Parameter erhoben. Wenn sich bestimmte Problemfelder zeigen, gibt es weitere vertiefende Fragen, zum Beispiel zu den Themen Depression, Fatigue oder Angststörung. Anschließend erhalten alle eine Basisversorgung. Die Patienten stellen sich bei allen Beratern der Bereiche Sport, Ernährung und Psychoonkologie vor. So können wir erkennen, ob es Probleme gibt, die nicht von den Fragebögen erfasst werden, und welche Anliegen die Patienten selbst haben. Wir sehen anhand der Fragebogenauswertung und der Gespräche, ob und wie hoch der Bedarf an Intervention für die Bereiche Sport und körperliche Aktivität, Ernährung und Psychoonkologie ist. Anschließend erfolgt die Randomisierung in eine oder mehrere der Interventionsgruppen beziehungsweise in die Kontrollgruppe. Es besteht eine Wartelistenkontrolle: Wenn die Erhebung nach einem Jahr zeigt, dass weiterhin ein hoher Bedarf besteht, erhalten diese Patienten entsprechend ein bis drei der Interventionsmodule. Im Moment schauen wir gerade, ob die anderen Zentren noch Verbesserungs- oder Änderungsvorschläge zum Programm haben. Und dann freuen wir uns, dass wir Anfang Dezember mit diesem Programm starten können.

Eine schwierige Frage ist die zum Endpunkt – CARE vor CAYA wird ja lediglich drei Jahre finanziert. Der Endpunkt ist letztlich ein relativ weicher Endpunkt, nämlich eine Verminderung des Bedarfs, den wir erheben. Wir müssen schauen, was wir daraus in 10, in 15 oder 20 Jahren machen können."

Dr. Georg Ralle: "Menschen mit einem familiären und erblichen Darmkrebsrisiko sind eine vergessene Risikogruppe. FARKOR will das ändern."

Dr. Georg Ralle

Dr. Georg Ralle, Generalsekretär des Netzwerks gegen Darmkrebs e. V., stellte das bayerische Modellprojekt FARKOR vor. Es steht für Vorsorge bei familiärem Risiko für das kolorektale Karzinom. "Keine Frage: Das Recht gesetzlich Versicherter auf Darmkrebsvorsorge ab dem 50. bzw. 55. Lebensjahr ist ein Meilenstein. Diese Altersgrenze erfasst aber nicht diejenigen, die ein hohes familiäres Risiko haben. Ich nenne sie ‚die vergessene Risikogruppe‘:  Bei  einer hohen Prozentzahl der Darmkrebsneuerkrankungen liegt ein familiär erhöhtes Risiko vor, und in vielen Fällen tritt die Erkrankung schon vor dem 50. Lebensjahr auf. Die Vorsorgepraxis ist darauf nicht eingestellt – mit dem Projekt FARKOR wollen wir das ändern.

Die Zielgruppe für unser Projekt sind Menschen im Alter von 25 bis 50 Jahren, der Projektzeitraum ist Oktober 2017 bis September 2020. Der Projektraum, also der Vorsorgeraum, ist das Bundesland Bayern. Die Rechtsgrundlage ist ein Modellvorhaben mit wissenschaftlicher Begleitung. Und das evaluierende Institut ist das Institut für medizinische Informationsverarbeitung an der LMU in München. Es unterstützt uns bei dem Nachweis, dass eine Umsetzung vor FARKOR in die Regelversorgung sinnhaft ist.

Folgendes wollen wir erreichen: Menschen mit einem familiär erhöhten Darmkrebsrisiko sollen durch die regelhafte Erhebung der Familienanamnese im Alter von 25 bis 50 Jahren identifiziert und über risikoangepasste Vorsorge informiert werden. Das ist das, was bisher nicht passiert. Die Teilnahme an geeigneten Vorsorgemaßnahmen erfolgt aufgrund einer informierten Entscheidung, die risikoangepassten Vorsorgemaßnahmen werden vergütet. Die beteiligten Ärzte nehmen – damit sie dies auch qualifiziert machen können – verpflichtend an einer Online-Fortbildung teil.

Im Ergebnis werden wir einer großen, aber vergessenen Risikogruppe helfen. Zugleich werden wir aber auch zeigen, ob durch die risikoadaptierte Vorsorge bei der Zielgruppe unter 50 Jahren auch Kosten eingespart werden können. FARKOR wird zudem erstmals in Deutschland versorgungsrelevante Daten zur Risikogruppe mit familiärem und erblichem Darmkrebs liefern. Wie viele Versicherte sind insgesamt betroffen? Wie viele Betroffene nehmen das Angebot zur Beratung und auch zu vorgezogenen Risikomaßnahmen an? Wie viel Karzinome und Adenome werden bei Betroffenen im Alter zwischen 25 und 50 Jahren dann erkannt, und in welchem Stadium sind die Karzinome? Das werden wir zeigen können."

Nina-Beata Björklund: "OSCAR möchte Patientenpräferenzen und Lebensqualität sichtbar machen, und zwar flächendeckend.2

Nina-Beata Björklund

Nina-Beata Björklund von der pronova BKK, Leverkusen, stellte das Projekt OSCAR vor: "OSCAR richtet sich an Menschen mit Bauchspeicheldrüsenkarzinom, Lungenkarzinom, metastasiertem Dickdarmkarzinom, Leukämien und aggressiven Lymphomen. Das ist eine sehr breite Palette von Diagnosen. Wir haben einerseits Patienten, die einen absoluten Heilungsanspruch haben, zum Beispiel bei der Erstdiagnose einer Leukämie, aber wir schließen auch Patienten mit chronischen onkologischen Erkrankungen ein. Wir haben diese weit gestellten Einschlusskriterien bewusst gewählt, um möglichst viele Informationen darüber zu erhalten, wie es den Patienten wirklich geht.

Kernthema von OSCAR ist die Stärkung der frühen sozialmedizinischen Mitberatung. Die Patienten erhalten eine beziehungskonstante Begleitung durch eine sogenannte Social Care Nurse. Das ist eine neue Funktionalität. Wir rekrutieren das Social Care Team aus dem Pflegebereich und aus dem Sozialdienst. Diese Mitarbeitenden des Krankenhauses erhalten eine Zusatzausbildung, die sie für diese Beratungstätigkeit qualifiziert. Ein weiterer Bestandteil dieser Intervention sind Fragebögen. Sie dienen als Gesprächsleitfaden, wenn die Social Care Nurse oder das Social Care Team sich mit dem Patienten, mit der Patientin unterhält.

Die Ausgangssituation in der Versorgung onkologischer Patienten ist die, dass wir nur über sehr wenige selbstberichtete Informationen der Patienten verfügen. Wir haben keine systematische Befragung der Lebensqualität während der häufig sehr belastenden systemischen Therapien, die onkologische Patienten durchlaufen. Wir haben auch in unserer Wissenschaft keinen Konsens darüber, welche Parameter nun wirklich für die Patienten eine Rolle spielen während dieser Therapien. Wir wissen ebenso wenig, wie sich die Haltung der Patienten während einer laufenden systemischen Therapie verändert, warum es zum Beispiel zu Therapieabbrüchen kommt. OSCAR möchte Patientenpräferenzen und Lebensqualität sichtbar machen, und zwar flächendeckend. Die Social Care Nurse spielt dabei eine zentrale Rolle als beziehungskonstante Begleitung der Patienten.

Die Einschreibung der Patienten soll am 01.01.2018 starten und ein Jahr dauern. Die Patienten werden im Programm OSCAR zwölf Monate betreut. Die Evaluation startet auch zum 01.01.2018 und endet am 30.06.2020. Wir hoffen, zeigen zu können, dass die Patienten, die in dieser Weise betreut werden, eine aktivere Einbindung in die Therapiegestaltung erfahren und auch über eine höhere Lebensqualität berichten. Als sekundären Endpunkt erhoffen wir uns natürlich auch gesundheitsökonomische Effekte mit dem Ziel, dass wir diese Art von Betreuung in die Regelversorgung überführen können."

PD Dr. Michael Kusch: "Bei isPo geht es um Qualität und Wirksamkeit in der integrierten, sektorenübergreifenden Psychoonkologie."

PD Dr. Michael Kusch

PD Dr. Michael Kusch, Universitätsklinikum Köln, stellte das Projekt iSPo – integrierte, sektorenübergreifende Psychoonkologie vor: "Das Volumen des genehmigten Projekts liegt bei 9,1 Millionen Euro für vier Jahre. Die ausführende Stelle ist die Uni Köln. Insgesamt sind 11 Partner an dem Projekt beteiligt:

  • Klinik I für Innere Medizin, Uniklinik Köln
  • Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft,
    Universität zu Köln
  • Institut für Medizinische Statistik, Informatik und Epidemiologie, Uniklinik Köln
  • Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie, Uniklinik Köln
  • Medizinische Informatik, Fachhochschule Dortmund
  • Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie, Universität zu Köln
  • Krebsgesellschaft Nordrhein-Westfalen e.V.
  • Haus der Krebs-Selbsthilfe – Bundesverband e.V.
  • AOK Rheinland/Hamburg
  • BARMER
  • Techniker Krankenkasse, Landesvertretung NRW

Umgesetzt wird das Projekt in ärztlicherseits getragenen psychoonkologischen Versorgungsnetzwerken, bestehend aus einem Onkologischen Zentrum sowie niedergelassenen onkologisch tätigen Ärzten. Als Standorte werden neben Köln drei Regionen im Rheinland (Nordrhein-Westfahlen) durch die Krebsgesellschaft NRW aufgebaut.

Wir wollen am 1. Oktober 2017 beginnen. Unsere Ziele sind: Angst und Depressionen lindern, psychosoziale Situation der Patienten verbessern und die Selbsthilfe fördern. Wir haben zwei Endpunkte, die in meinem Verständnis gleichwertig sind. Wir wollen zeigen, ob wir eine klinisch relevante Reduktion der Angst und Depressionen erreichen. Aber wir wollen ebenso ein vollständig evaluiertes, nachhaltig aufgebautes Versorgungskonzept erstellen, einschließlich Versorgungs-, Qualitätsmanagement-, Dokumentations- und Evaluationsinstrumenten, das unmittelbar in die Regelversorgung übergehen kann. Alle Elemente werden operationalisiert, sodass sie in bestimmte statistische Kennwerte übergeführt werden können, um zum Beispiel der Qualitätssicherung oder dem klinischen Krebsregister zu dienen. Ein Computerprogramm generiert dann automatisch Qualitätsberichte pro beteiligtem Netzwerk und für alle Netzwerke zusammen. Es gibt in unseren Netzwerken keine Unterscheidung zwischen ambulant und stationär. Patienten werden sowohl von Kliniken als auch durch einen niedergelassenen Onkologen in dieses Netzwerk eingeschrieben.

Unsere Methodik ist ein Regression Discontinuity Design. Als Interventionsgruppe sind Patienten mit gestufter psychoonkologisch-psychotherapeutischer Versorgung, als Kontrollgruppe Patienten mit gestufter psychosozialer Versorgung geplant. Das Zuweisungskriterium ist nicht ein Zufallsaspekt, etwa ein Losverfahren, sondern ein empirischer Wert, der Gesamtwert der Hospital Anxiety and Depression Scale von >14. Wir haben als Stufe null die Information zur psychoonkologischen Mitversorgung auf Seiten der Ärzte, die die Patienten natürlich weiter betreuen. Dann haben wir den Onkolotsen auf Stufe 1. Das sind vorzugsweise Vertreter der Krebsselbsthilfe, die einen Patienten zu Fragen rund um Krebs informieren. Wir haben Stufe zwei, die psychosoziale Versorgung, das ist die begleitende Patientenunterstützung und –anleitung mit geplanten vier Leistungen bei konkretem psychosozialen Versorgungsbedarf. Stufe drei ist die psychoonkologische Psychotherapie allein, das ist Stufe 3a, oder als komplexe Versorgung für Patienten mit psychischer und psychosozialer Belastung - das ist Stufe 3b. Jeder Patient wird ein Jahr lang betreut. Es sind 14 Interventionen durch einen Psychotherapeuten geplant mit drei Untersuchungszeitpunkten zu Beginn, also bei Aufnahme in das Netzwerk, dann im 3. bis 4. Monat und zum Abschluss, also im 12. Monat. Wir werden die Ergebnisse sowohl  zur Therapieverlaufs- und Effektkontrolle als auch extern zur unabhängigen Evaluation nutzen - hier zusammen mit einer extern durchgeführten Patientenbefragungen. Bei isPo geht es also um Qualität und Wirksamkeit gleichermaßen."

Anna Arning: "Unser netzwerkbasiertes Rahmenkonzept im Rahmen von isPo kann von anderen Landeskrebsgesellschaften nahtlos übernommen werden."

Anna Arning

Anna Arning, Krebsgesellschaft Nordrhein-Westfalen, ergänzt: "Den sektorenübergreifenden Netzwerken kommt in diesem Programm eine zentrale Bedeutung zu. Die Krebsgesellschaft NRW zeigt sich in diesem Projekt verantwortlich für diese Netzwerke, denn wir haben als unabhängige Plattform große Erfahrung in der Durchführung von multiprofessionellen Netzwerkprojekten. Wir übernehmen einerseits die Rekrutierung und den Aufbau der Netzwerke mit den Partnern im Land. Weiterhin werden wir im Projektverlauf die Netzwerke koordinieren sowie die Implementierung des Versorgungsprogramms in vierteljährlichen Qualitätsworkshops engmaschig begleiten. Ganz wichtig ist uns in diesem Projekt, dass wir als Landeskrebsgesellschaft letztlich ein evaluiertes Rahmenkonzept erstellen, das von anderen Landeskrebsgesellschaften nahtlos und zügig übernommen werden kann. iSPO ist somit kein Programm, das nur vier Jahre trägt. Es ist ein Modell für die Versorgung in der Fläche."

Dr. Joachim Hübner: "Wir wollen ein tieferes Verständnis dafür haben, wie über die Behandlung von älteren Krebspatienten entschieden wird."

Dr. Joachim Hübner

Dr. Joachim Hübner, Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie Lübeck, stellte das Projekt "DELIVER – Determinanten für leitlinieninkongruente Versorgung von älteren Krebspatienten in der GKV" vor: "Es gibt Hinweise darauf, dass ältere Krebspatienten häufiger als jüngere nicht leitliniengerecht versorgt werden. Eine Studie aus unserem Haus hat zum Beispiel gezeigt, dass Brustkrebspatientinnen, die über 70 Jahre alt sind, seltener eine brusterhaltende Therapie bekommen, seltener Chemotherapie, seltener Strahlentherapie. Auf der anderen Seite gibt es Hinweise darauf, dass das Outcome der Versorgung, speziell die Überlebenszeit bei älteren Brustkrebspatientinnen, in Deutschland schlechter ist als beispielsweise in den USA. Besteht da möglicherweise ein Zusammenhang? Liegt ein Defizit vor?

Wir gehen mit DELIVER diesen Fragen nach, und zwar exemplarisch für die Entitäten Brust- und Darmkrebs. Wir konzentrieren uns auf Menschen, die älter als 70 Jahre alt sind. Drei Bausteine spielen eine Rolle. Der erste, der qualitative Teil, ist der Grundbaustein. Wir wollen Interviews führen mit 20 Brustkrebspatienten, 20 Darmkrebspatienten, deren Angehörigen und 40 Ärzten, wo wir nach den Gründen und Barrieren fragen, die einer leitliniengemäßen Behandlung entgegenstehen können. Da ist vieles denkbar: Alter als Risikofaktor für Komplikationen, Komorbiditäten, eingeschränkte Mobilität, begrenzte Lebenszeit, mangelnde Eigeninitiative, Empfehlungen der Angehörigen, Empfehlungen der Behandler. Aber das sind nur Ideen. Für uns ist es wichtig, dass unsere qualitative Befragung offen ist für alles, was aus Sicht der Befragten relevant ist. Im zweiten Teil wollen wir untersuchen, welche zahlenmäßige Bedeutung diese Gründe in der Versorgungswirklichkeit haben. Dazu rollen wir die Fälle von 360 Brustkrebspatientinnen und 240 Darmkrebspatienten auf. Für jeden dieser Fälle wollen wir klären, ob es Abweichungen von Leitlinienempfehlungen gab und welche Gründe dabei eine Rolle gespielt haben. Der dritte Baustein ist ein theoretischer Teil: Hier geht es darum, systematisch zu ergründen, was implizite und explizite Kriterien zur Beurteilung der Sinnhaftigkeit und Sinnlosigkeit von Behandlungsmaßnahmen aus der Sicht von Patienten, Angehörigen und Ärzten sind. Praktisches Ergebnis wird ein Leitfaden sein, der Patienten und Ärzten hilft, im gemeinsamen Gespräch zu guten Entscheidungen zu gelangen. Wir versprechen uns bei DELIVER aber auch Hinweise darauf, wie Leitlinien möglicherweise spezifiziert und besser angewandt werden können. Unsere Hoffnung ist, dass DELIVER einen Beitrag zu noch mehr Bedarfsgerechtigkeit in der Versorgung älterer Krebspatienten leistet."

Podiumsdiskussion: "Wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem."

5 Personen bei einer Podiumsdiskussion

Bei der abschließenden Diskussion unter den Referenten und mit dem Publikum herrschte Einigkeit, dass es sich bei den vorgestellten Projekten um spannende Fragestellungen handele. Es habe bereits viele Versuche in der gesetzlichen Krankenversicherung gegeben, Innovationen schneller ins System zu bekommen. Der Innovationsfonds bilde nun den Rahmen für einen wirklichen Entwicklungsschub, denn er eröffne einen Kanal, Dinge zu ändern und gewisse Trägheiten im System zu überwinden.

Allerdings sei unklar, wie die Übernahme in die Regelversorgung am Ende der Projektzeiträume erfolgen solle. Wer entscheide wann und auf welcher Entscheidungsbasis? Wie und wo erfolge die Entscheidung, ob alles einheitlich und gleich in die Regelversorgung übertragbar sei?

Projektvertreter und Publikum äußerten mehrfach die Meinung, die eigentlichen Defizite lägen nicht im Erkenntnisgewinn, sondern in der Translation. Diskutiert wurde deshalb die Frage, ob nicht statt universitärer Zentren eher die Allgemeinmediziner und Hausärzte wesentlich stärker eingebunden werden müssten, um Innovationen flächendeckend zu implementieren. Das sei wichtig, so die Teilnehmer der Podiumsdiskussion. Allerdings habe ein Zentrum am ehesten die logistischen Möglichkeiten, ein Netzwerk aufzubauen und es flächendeckend zu realisieren. Grundlegend müssten aber alle Ärzte, die Krebspatienten behandeln oder betreuen, in solche Netzwerke involviert sein – gerade Hausärzte. Man müsse jetzt gemeinsam überlegen, wie Barrieren aufgegeben werden könnten, wie Erkenntnisse aus all den Projekten auch beim Landarzt im Gebiet X ankommen sowie verstetigt werden könnten und sich nicht nur in universitären Zentren konzentrieren. Ein Vorschlag war, darüber nachzudenken, ob es immer nur der Arzt sein muss, über den Erkenntnisse und Spezialwissen in die Fläche getragen werden, oder ob das nicht auch über fachlich ausgebildete Gruppen, wie die Onkolotsen, geschehen könne. Solche Modelle gebe es bereits, wenn auch regional.

Referenten

Prof. Dr. Peter Albers (Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft, Berlin); Anna Arning (Krebsgesellschaft Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf); Nina-Beata Björklund (pronova BKK, Leverkusen); Dr. Johannes Bruns (Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft, Berlin); Dr. Joachim Hübner (Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie, Lübeck); Dr. Barbara Koch (Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf); PD Dr. Michael Kusch (Universitätsklinikum Köln); Dr. Georg Ralle (Netzwerk gegen Darmkrebs, München)

Moderation: Lisa Braun