Nationaler Krebsplan erreicht das Parlament
Brennpunkt Onkologie vom 26.09.2012:
Nationaler Krebsplan erreicht das Parlament
Am 22.08.2012 verabschiedete das Kabinett einen vom Bundesministerium für Gesundheit vorgelegten Gesetzesentwurf zur Umsetzung des Nationalen Krebsplans. Darin enthalten sind insbesondere Regelungen zur Krebsfrüherkennung und zum flächendeckenden Ausbau klinischer Krebsregister. So sollen Krebsfrüherkennungsuntersuchungen künftig als organisierte Früherkennungsprogramme durchgeführt werden, und zwar nach den von der Europäischen Kommission veröffentlichten EU-Leitlinien. Das betrifft derzeit ‒ neben dem bereits eingeführten Mammographie-Screening ‒ vor allem die Früherkennung von Gebärmutterhals- und Darmkrebs. Besonders die Teilnahme am Darmkrebs-Screening könnte sich durch ein Einladungsprogramm, das die Anspruchsberechtigten gezielt und individuell anspricht, erheblich steigern lassen.
Klinische Krebsregister: ein Muss für bessere Versorgung
Darüber hinaus sieht das geplante Gesetz die Einrichtung flächendeckender klinischer Krebsregister durch die Länder vor. Diese Register sind notwendig, um Fehl-, Über- oder Unterversorgung aufzuspüren und an Behandler, gesundheitspolitische Entscheider und die Gremien der Selbstverwaltung zurückzumelden. „Nach vielen Diskussionen fiel die Entscheidung für eine behandlungsortbezogene Datenerfassung mit einem wohnortbezogenen Datenaustausch“, so Dr. Johannes Arnade vom Bundesgesundheitsministerium beim Brennpunkt Onkologie der Deutschen Krebsgesellschaft am 26. September in Berlin. „Das heißt, die behandelnde Einrichtung meldet alle Schritte zur Behandlung eines Krebsfalls an das für sie zuständige Register.“ Die Vorteile: Die ausgewerteten Daten können an die Leistungserbringer vor Ort zurückgemeldet werden, und die Auswertung baut auf statistisch gut auswertbaren hohen Fallzahlen auf. Eine datensparsame Tumordokumentation schafft zudem bundesweit einheitliche Voraussetzungen für die Datenerfassung und hilft, Mehrfachdokumentationen zu vermeiden.
Geplant ist eine Finanzierung der Register durch die gesetzlichen Krankenkassen. Auch die Länder sollen einen kleinen Teil der Register-Betriebskosten übernehmen. Dass sich die privaten Krankenkassen und die Beihilfe ebenfalls beteiligen, ist mit dem Entwurf vorgesehen.
Geht alles glatt, dann könnte das Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz bereits in der ersten Hälfte 2013 beschlossen werden. „Wir hätten dann zwei wesentliche Änderungen in der Krebsversorgung gesetzlich verankert“, erklärte Dr. Johannes Bruns, Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft. „Die spannende Frage ist, wie geht es mit den restlichen Umsetzungsempfehlungen des Nationalen Krebsplans weiter? Und könnte das Modell des Nationalen Krebsplans als Blaupause für die Umsetzung anderer drängender Versorgungsfragen dienen?“
Erfolgreich: Enge Zusammenarbeit von Behandlern und Politik
„Dass wir überhaupt soweit gekommen sind, ist schon ein großer Erfolg. Er rührt zum Teil daher, dass es hier wirklich gelang, die Experten, die tagtäglich behandeln, mit politischen Entscheidern und Verbänden an einen Tisch zu bringen“, urteilte Dr. Monika Klinkhammer-Schalke von der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT). Bereits bei der Initiierung des Nationalen Krebsplans (NKP) durch das BMG war klar, dass die Herangehensweise bei diesem Projekt anders sein würde als sonst. Denn normalerweise kommt der Input für solche Programme nicht von gemeinnützigen Organisationen wie der Deutschen Krebsgesellschaft, der Deutschen Krebshilfe oder der ADT. Entsprechend hoch waren die Hürden bei der politischen Umsetzung.
Die Definitionsmacht in Gesundheitsfragen liegt in Deutschland beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), dem obersten Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im Gesundheitswesen. „Als wir mit unseren Versorgungsanliegen an den G-BA herantraten, stellten wir allerdings fest, dass dort bislang zumeist Teilaspekte der Versorgung, etwa in der Methoden- oder Arzneimittelbewertung, bearbeitet werden. Das ist eine grundsätzliche andere Herangehensweise als der indikationsbezogene Blick des NKPs auf Versorgungsdefizite“, erläuterte Johannes Bruns. Auch das Bundesgesundheitsministerium kann die Umsetzung von Handlungsempfehlungen nicht einfach anordnen. Jenseits seiner klassischen Aufgabe bei der Vorbereitung von Gesetzen kann es sich nur an die Spitze einer Bewegung setzen, um sie kraft der Autorität des jeweiligen Ministers oder der Ministerin aufzunehmen und zu verstärken.
Genau diese Strategie brachte den Nationalen Krebsplan ein entscheidendes Stück voran: Anfang 2012 lud Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr die maßgeblichen Institutionen zu einem Spitzengespräch ein, bei dem sie sich darauf verständigten, die Umsetzung des NKP gemeinsam voranzutreiben und die jeweiligen Empfehlungen eigenverantwortlich umzusetzen. Auch wenn dieses Vorgehen bislang erfolgreich war, so sei es laut Bruns illusorisch, solche Versorgungsfragen in Zukunft immer über Spitzengespräche oder Gesetze, quasi am G-BA vorbei regeln zu wollen.
Entscheidend: Der Gesamtblick auf die Versorgung
„Der G-BA wird auf Antrag tätig. Derzeit können aber nur bestimmte Gruppen, zum Beispiel die Krankenkassen, die KBV oder die Deutsche Krankenhausgesellschaft einen solchen Antrag stellen“, erklärte Bruns und stellte ein erweitertes Antragsrecht zur Diskussion, um eine Beratung über grundsätzliche Versorgungsdefizite auszulösen. „Dazu bräuchte man eine Beratungspflicht des G-BA und am Ende einer solchen Beratung würde eine Liste mit Umsetzungspunkten oder eine begründete Ablehnung einzelner Punkte stehen.“ So könnten Experten und Fachgesellschaften, die die Versorgungsdefizite aus eigener Anschauung kennen, stärker an der Identifizierung und Lösung von Versorgungsproblemen, auch in anderen großen Indikationsfeldern wie Diabetes oder Rheuma, beteiligt werden.
Demgegenüber steht der Einwand, dass der G-BA an ein bestimmtes Regulierungsinstrumentarium gebunden ist, will er nicht riskieren, dass seine Entscheidungen vorm Sozialgericht scheitern. Dennoch existieren auch Freiräume, vor allem bei der Identifizierung von Versorgungsproblemen, so Dr. Dominik Roters, stellvertretender Geschäftsführer des G-BA. „Aufgrund seines gesetzlichen Auftrags wird sich der G-BA sicherlich darum bemühen müssen, Defizite zu identifizieren, und ist auch an Instrumenten interessiert, die ihm Handlungsbedarf aufzeigen“, sagte Roters. So führte der G-BA bereits 2010 ein Pilotprojekt zum Thema Depression durch, um Leitlinien und anderes Material auf Versorgungsengpässe und Überversorgung hin zu analysieren. Jetzt birgt der NKP einiges an Potenzial als Blaupause zur künftigen Lösung von Versorgungsdefiziten, nicht nur für die Indikation Krebs.
Material zum Brennpunkt vom 26. September 2012
Audio-Review Teil 1 - Nationaler Krebsplan: Hohe Hürden und großer Erfolg (Dauer 37 Min.)
Audio-Review Teil 2 - Umsetzung gesetzlich gesichert - Brückenpfeiler in die Zukunft des Gesundheitswesens (Dauer 42 Min.)
Audio-Review Teil 3 - Diskussion - Den Erfolg weiter entwickeln und sicherstellen (Dauer 79 Min.)
Teilnehmer der Veranstaltung
Dr. jur. Johannes Arnade (BMG); Dr. Johannes Bruns (Deutsche Krebsgesellschaft e. V.); Franz Knieps (Wiese Consult GmbH); Prof. Klaus-Dieter Kossow (ehem. Vorsitzender Hausärzteverband); Dr. Dominik Roters (G-BA); Dr. Günther Jonitz (Präsident der Berliner Ärztekammer); Dr. Monika Klinkhammer-Schalke (Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Tumorzentren e. V.); Moderation: Dr. Thomas Hegemann.