Interessenkonflikte in Medizin und Forschung

 

Brennpunkt Onkologie vom 16.01.2014: Interessenkonflikte in Medizin und Forschung

In der Medizin – und nicht nur dort – sind Interessenkonflikte allgegenwärtig. Was aber sind Interessenkonflikte? Was müssen wir tun, um die Risiken aus Interessenkonflikten beherrschbar zu machen? Welche Lösungen und Methoden gibt es bereits? Diesen Fragen widmete sich die Brennpunkt-Veranstaltung am 16. Januar 2014.

Um die Komplexität des Themas handhaben zu können, legte Prof. Dr. Klaus Lieb, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin in Mainz, zunächst den definitorischen Grundstein: „Ein Interessenkonflikt entsteht, wenn zwei unterschiedliche Interessen nebeneinander stehen. Dieses Nebeneinander generiert ein Risiko, nämlich dass man unangemessen oder verzerrt urteilt und handelt. Wohlgemerkt: Generiert wird ein Risiko. Nicht unbedingt entsteht ein Schaden daraus. Interessenkonflikte sind also nichts per se Schlechtes oder Verwerfliches oder Schädliches – sie sind der Normalzustand. Problembewusstsein, Transparenz, Bewertung, Management – das sind die vier Schritte, um mit Interessenkonflikten umzugehen.“

Erster Schritt: Problembewusstsein

Dr. Johannes Bruns

Das Problembewusstsein für Interessenkonflikte und deren Risiken sei in den letzten Jahren stark gewachsen, so Dr. Johannes Bruns, Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft. In der Öffentlichkeit spiele vor allem das Verhältnis zwischen Ärzten und Pharmaindustrie eine Rolle. Dieses Verhältnis werde meistens als verwerflich, unethisch sowie unter dem Verdacht der Einflussnahme gesehen und deshalb abgelehnt. Dieser Stereotyp sei zu hinterfragen. „Dass jeder und jede Seite eigene Interessen hat – der Arzt, die Krankenkasse, die Klinik, das Pharmaunternehmen –, ist legitim und selbstverständlich. Die zum Teil komplett divergierenden Interessen müssen wir in einem Entscheidungsprozess zu etwas Gutem zusammenzubringen. Dafür brauchen wir Regelungen, Verfahren, Methoden. Nicht zusammenzuarbeiten ist keine Option.“

Claus Burgardt

Claus Burgardt, Fachanwalt für Medizinrecht, Berlin, beschrieb die Verfahren und Methoden im Rechtswesen und ging dabei unter anderem auf Anforderungen an Gerichtssachverständige ein: „In der Diskussion im Gesundheitssystem werden zum Teil Aktivitäten von Ärzten als Beleg für einen Interessenkonflikt angesehen, die in der Gerichtspraxis als unverdächtiger Bestandteil der ärztlichen Tätigkeit angesehen werden. So folgert ein Gericht in der Regel aus Meinungsäußerungen eines Gutachters im Rahmen seiner Referententätigkeit oder seinen Publikationen oder auch aus der Teilnahme an Studien keine Befangenheit des Gerichtssachverständigen.“

Dass sich das Problembewusstsein nicht ausschließlich auf das Verhältnis zur Pharmaindustrie beziehen dürfe, forderte Prof. Lieb: „Zielvereinbarungen, Bonusverträge, das Einhalten von Rabattverträgen und so weiter: All das generiert ebenfalls ein Risiko, verzerrt zu urteilen und zu handeln. Das darf man nicht übersehen.“

PD Dr. Ullrich Graeven

PD Dr. Ullrich Graeven, Kliniken Maria Hilf GmbH, Mönchengladbach, ergänzte dazu mit Blick auf den Bereich klinische Studien, dass oftmals unisono pharmaunabhängige Studien gefordert würden. „Eine unabhängige Studie ist aber nicht automatisch eine gute Studie. Es gibt andere Verzerrungspotenziale: Das sind qualitative Ergebnissicherheit, Fragen der Präzision, das ist die quantitative Ergebnissicherheit, das ist das Studiendesign, die Interpretation der Daten und Zusammenhänge. Und da sind wir Ärzte dann in unserer wissenschaftlichen Integrität und Professionalität gefordert. Problembewusstsein für Interessenkonflikte fängt bei jedem einzelnen selbst an.“ Aus Sicht des forschenden Arztes gebe es bei Studien noch einen anderen Konflikt: „Das Primärinteresse eines Pharmaunternehmens ist nicht der Head-to-Head-Vergleich zur Beurteilung des Zusatznutzens eines Medikaments. Als forschende Ärzte brauchen wir aber diesen Vergleich. Diesen Konflikt von Primärinteressen können wir derzeit gar nicht auflösen.“ Dazu bräuchte man neue Finanzierungsmodelle und -strukturen, so Dr. Graeven.

Zweiter Schritt: Offenlegung (Transparenz)

Prof. Dr. Dr. Daniel Strech

Interessenkonflikte schaffen ein situativ bedingtes Risiko. Nicht nur Interessenkonflikte selbst, sondern auch, wie wir damit umgehen, sollte offengelegt werden, so Prof. Dr. Dr. Daniel Strech, Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin, Hannover. Im Vergleich zum angloamerikanischen Raum gebe es in Deutschland noch Nachholbedarf: „90 Prozent der fast 150 Medical Schools in den USA haben auf ihrer Webseite unter dem Begriff Conflict of Interest Regulierungen, Erläuterungen und Trainingsmaterial aufgeführt. Das finden Sie – Stand 2010 – auf keiner Webseite der 43 deutschsprachigen medizinischen Hochschulen und Fakultäten. Das mag jetzt plakativ sein, aber es zeigt den Status quo. Die Diskussion wäre konstruktiver und weiter fortgeschritten, wenn wir wie im angloamerikanischen Raum offen über das angemessene Management von Interessenkonflikten sprechen würden.“

Dr. Holger Diener

Andere Akteure haben sich bereits auf den Weg gemacht, ihr Handeln systematisch offenzulegen. Die Initiativen der Pharmaindustrie seit 2004 stellte Dr. Holger Diener, Geschäftsführer des Freiwillige Selbstkontrolle Arzneimittelindustrie e.V. (FSA), vor: „Wir haben vier Kodizes: für die Zusammenarbeit mit Fachkreisangehörigen, für Patientenorganisationen, für die Zusammenarbeit mit politischen Einrichtungen und demnächst den Transparenzkodex. Wir nennen heute schon bei den Patientenorganisationen Ross und Reiter – und zwar für jedermann einsehbar im Internet, mit Name und Anschrift sowie der Zuwendung in Heller und Pfennig.“ Bei der Offenlegung müsse aber die Gesetzeslage beachtet werden, so Dr. Diener. Beim kommenden Transparenzkodex könne beispielsweise ein Honorar an einen Arzt nur dann veröffentlicht werden, wenn der Arzt der Veröffentlichung zustimme. Da sich auch die Ärzteschaft für Transparenz ausgesprochen habe, gehe der FSA von einer hohen Bereitschaft dazu aus.

Dritter Schritt: Bewertung von Interessenkonflikten

Thomas Langer

„Transparenz, und dann?“ – unter diesem Titel beschrieb Thomas Langer, Bereich Leitlinien der DKG, die Situation im Leitlinienprogramm Onkologie. „Für die Vorgaben und Standards, die wir aktuell bei den Leitlinien haben, ist das Regelwerk der AWMF maßgeblich. Die Interessenkonflikte der Beteiligten werden heute in allen onkologischen Leitlinien offengelegt. Wer das bewertet und in welcher Form, ist allerdings nicht klar. Es fehlen also einheitliche Beurteilungsstandards, an denen sich alle Leitliniengruppen orientieren können: Wo wird es problematisch? Ab wann ist der Autor befangen? Welche Gegenmaßnahmen sind zu ergreifen? Darüber hinaus müssen wir die Bewertung von Interessenkonflikten viel früher im Leitlinienprozess beginnen, nicht erst, wenn Experten eingeladen und das Thema definiert ist.“

Prof. Lieb ergänzte zur Frage der Bewertung: „Die Bewertung offengelegter Interessenkonflikte muss extern durch Dritte erfolgen und nicht durch sich selbst. Bei Leitlinien müssen das externe Wissenschaftler sein.“

Prof. Strech empfahl beim Bewerten von Interessenkonflikten sechs Leitprinzipien vom Institute of Medicine. Dabei gehe es vor allem um Verhältnismäßigkeit und Relevanz. Mit diesen Leitprinzipien könne man anfangen zu arbeiten und sie bei Bedarf nachjustieren. Wichtig sei, Interessenkonflikte nicht nur aus dem Bauch heraus zu bewerten.

Vierter Schritt: Das Managen von Interessenkonflikten

Diskussion

Wer darf was machen? Wer darf nichts machen? Und wie kann man jemanden beteiligen, der Interessenkonflikte hat? Prof. Lieb stellte das System der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft vor, das sich an Regeln des Institute of Medicine orientiert: Wer in den letzten drei Jahren Interessenkonflikte in Bezug auf das zu bewertende Arzneimittel habe, werde von der Beurteilung ausgeschlossen, so Prof. Lieb. Für den Fall, dass keine Mitglieder ohne Interessenkonflikte gefunden würden, müsse die AkdÄ dokumentieren, dass sie alles getan habe, um andere Experten zu finden. Prof. Lieb: „Aber mindestens der Hauptantragsteller und Federführer müssen frei von Interessenkonflikten sein. Im Experten-Panel darf nur maximal ein Drittel Interessenkonflikte in Bezug auf das Medikament oder Gegenmedikamente haben. Das sind die internationalen Regelungen, die sich meiner Meinung nach durchsetzen sollten.“

Prof. Strech verwies darauf, dass solche Einblicke rar seien. „Ich bin mir sicher, dass DFG, IQWiG, Fachgesellschaften, Hochschulen in irgendeiner Form Interessenkonflikte managen. Aber man kann das nirgendwo nachlesen. Das sollte sich ändern.“

Systemischer Ansatz: Machen wir überhaupt die richtigen Dinge?

Dr. Wolfgang Wodarg

Dr. Wolfgang Wodarg, Transparancy International Deutschland, öffnete zum Abschluss der Veranstaltung den Blick auf den politischen, den systemischen Ansatz in der Diskussion von Interessenkonflikten. Die Frage sei nicht, ob man die Dinge richtig tue, also Interessenkonflikte richtig reguliere und bewerte, so Dr. Wodarg. Die eigentliche Situation sei doch, dass Interessenkonflikte im Gesundheitswesen systemisch bedingt seien und strukturelle Änderungen erfordern würden. Das deutsche Gesundheitssystem sei so beschaffen, dass es zum einen Interessenintransparenz erzeuge, statt sie zu reduzieren – Stichwort: Gesundheitswirtschaft – und zum anderen niemandem eine Verantwortung für bestimmte wichtige Interessen zuordne: „Wer hat für gute gesundheitliche Versorgung in Deutschland die Verantwortung? An wen muss man sich wenden, wenn es hier in Berlin-Mitte nicht klappt?“

Claus Burgardt stimmte dem zu: „Wir haben im Gesundheitswesen eine systemische Perspektive. Am Ende wird nicht gefragt, was der Patient eigentlich braucht, sondern: Was will das System? Wenn wir uns fragen, wie Versorgung aussieht, und dafür Qualitätsindikatoren entwickeln, dann stellen sich viele Fragen des Interessenkonflikts gar nicht, weil wir eine Steuerung dort haben, wo das Problem liegt.“

Diskussion

Da, wo Gesundheit auf kommunaler Ebene organisiert sei und kommunal verantwortet werde, wo dann überregionale Zusammenschlüsse und bestimmte Funktionen auf höherer Eben angesiedelt seien, nach dem Subsidiaritätsprinzip organisiert – da sei die Effizienz der öffentlichen Gesundheitspflege am größten, so Dr. Wodarg. Beispiele wären Finnland oder Schweden. Aber auch in Deutschland gäbe es auf Initiative von Ärzten solche Projekte mit Regionalbudgets, die sehr gut funktionierten und Modellcharakter hätten. „Mein Vorschlag ist: Wir haben ein föderales System, wir brauchen auf Landesebene die Budgets, wir brauchen auf Landesebene die Budgetverantwortung und wir brauchen statt des morbiditäts-orientierten Risikostrukturausgleichs zwischen den einzelnen Kassen einen Morbiditätsausgleich zwischen den Ländern. Wenn wir Arbeitsgemeinschaften der gesetzlichen Krankenkassen auf Länderebene haben, dann haben wir jemanden, der verantwortlich ist für die Versorgungsstrukturen im Land. Wenn irgendwas fehlt, dann wissen wir, wo wir hingehen können. Das wären vernünftige Strukturen.“

           

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