Arztinformationssystem
Brennpunkt Onkologie am 19.04.2018: Arztinformationssystem der Zukunft - Informationssystem oder Steuerungsinstrument?
Aus dem in der letzten Legislaturperiode durchgeführten "Pharmadialog" wurden Vorschläge für die gemeinsame Selbstverwaltung und den Gesetzgeber erarbeitet. Der Gesetzgeber wurde durch die Änderung des §73 SGB V initiativ. Ziel sollte es sein, ein Verfahren zu etablieren, durch welches die Ergebnisse der Zusatznutzenbewertung aus dem Preisfindungsprozess des AMNOG in die Versorgung eingebettet werden kann. Heute, zu Beginn der neuen Legislaturperiode, steht die Umsetzung dieses Paragraphen an. Durch Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums soll die nähere Ausgestaltung eines/des Arztinformationssystems erfolgen.
Beim Brennpunkt Onkologie "Arztinformationssystem der Zukunft ─ Informationssystem oder Steuerungsinstrument?" am 19.04.2018 griffen wir die unterschiedlichen Standpunkte der Beteiligten zu dem in den letzten Monaten teils aufgeregt diskutierten Thema auf. Sowohl die Aufarbeitung des Themas in Gutachten als auch die Einbettung eines Arztinformationssystems in die Entscheidungsrealität diskutierten wir mit Expertinnen und Experten sowie dem Publikum.
Tino Sorge: "Es ist ein Mythos, dass die Politik mit dem AIS die Therapiefreiheit einschränken will."
Tino Sorge, Mitglied des Deutschen Bundestages, eröffnete die Veranstaltung mit einem Vortrag zum Thema "Was will die Politik vom Arztinformationssystem?": "Wir erleben ein latentes Informationsdefizit: Es gibt das Problem, dass Informationen über gute neue Medikamente die Versorgung entweder gar nicht erreichen oder dass Medikamente verordnet werden, die im speziellen Fall nicht unbedingt verordnungswürdig gewesen wären. Diese Verordnungspraxis ließe sich durch neutrale, praxistaugliche Informationen zu Medikamenten und ihrem Zusatznutzen je Subgruppe bzw. Teilindikation verbessern. Das ist politisch wünschenswert, das ist unsere Idee hinter dem Arztinformationssystem: Ärzte sollen über den Zusatznutzen besser in Kenntnis gesetzt und bei der Therapieentscheidung unterstützt werden. Ohne Bevormundung. Der Arzt darf nicht das Gefühl haben, dass die Krankenkassen mit Regressandrohungen arbeiten, sobald er etwas anderes verordnet. Das ist ein Punkt, den wir als Gesetzgeber in der Form nicht wollen.
Ich plädiere immer dafür, bei der Wirtschaftlichkeit mit Gesamtkostenbetrachtungen zu arbeiten, statt auf einzelne Arzneimittelpreise zu fokussieren. Eine wirtschaftliche Verordnungsweise bedeutet, die Kosten für das System im Rahmen zu halten. Das heißt aus meiner Sicht aber, dass der Preis eines Präparates nicht der ausschließliche Grund sein darf, es zu verordnen oder nicht. Stattdessen sollte hier entscheidend sein, ob eine Therapieoption ein gesamtwirtschaftlich tragbares Verhältnis zwischen Kosten und Patientennutzen vorweist.
Dass die Politik mit dem AIS die Therapiefreiheit einschränken will, ist ein Mythos. Das AIS soll kein Instrument zur bloßen Verordnungssteuerung auf Basis wirtschaftlicher Überlegungen sein, mit dem Krankenkassen darüber entscheiden, welches Medikament der Arzt verordnet. Das wäre von der Politik nicht intendiert. Die entsprechende Rechtsverordnung zum AIS kommt voraussichtlich im Juni aus dem Gesundheitsministerium. Klar bleibt dabei: Wir Parlamentarier werden das letzte Wort haben."
Dr. Antje Behring: "Es ist sehr wertvoll, dass die Informationen aus den G-BA-Beschlüssen nun ins AIS integriert werden."
Dr. Antje Behring, Teamleitung Frühe Nutzenbewertung, Abteilung Arzneimittel, beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beschrieb in ihrem Vortrag, wie ein gutes Arztinformationssystem aus Sicht des G-BA aussieht: "Die Beschlüsse des G-BA sind für die Beteiligten an Preisverhandlungen geschrieben und zunächst einmal nicht für jene, die ein AIS nutzen. Wir müssen also schauen, dass die Infos zielgruppengerecht anwendbar, transparent, aktuell, interpretierbar, übersichtlich und unmissverständlich sind. Was muss ins AIS? Da ist zunächst die Indikation. Dann: Für welche Patientengruppe ist das Medikament gedacht, und wo ist die Abgrenzung? Der G-BA kann sich nur an das Anwendungsgebiet halten, prüfen, welche Patientengruppen sind davon umfasst und welche Patientengruppen in der Studie untersucht bzw. vorgelegt worden. Zu welcher Patientengruppe der Patient gehört, der individuell gerade behandelt werden soll, muss der Arzt entscheiden. Und als drittes: die Ergebnisse. Diese sind momentan als Zahlenwerte und Indikatoren ausgedrückt. Wir brauchen also im AIS eine Übersetzung der Zahlen in Sprache. Vielleicht lässt sich auch mit Symbolen zu den Ergebnissen arbeiten, die nichts mit Wirtschaftlichkeitsaussagen zu tun haben. Ebenso wird eine klare Darstellung der Evidenz gebraucht. Hinweise, dass Daten zu ganz bestimmten Fragestellungen fehlen, zum Beispiel zur Lebensqualität, müssen einfließen. So werden Evidenzlücken transparent. Wie machen wir kenntlich, ob ein Zusatznutzen am oberen Rand einer Kategorie oder am unteren Rand liegt? Wir haben nur die sechs Kategorien erheblicher Zusatznutzen, bedeutsamer Zusatznutzen, geringer Zusatznutzen, nicht quantifizierbarer Zusatznutzen, kein Zusatznutzen und geringerer Nutzen als die zweckmäßige Vergleichstherapie. Feinheiten sind damit nicht vermittelbar. Insbesondere ist es eine Herausforderung, unterschiedliche Nuancen von 'kein Zusatznutzen' herauszuarbeiten. Der Arzt braucht also zusätzlich noch Informationen zur Evidenzgrundlage, zu den Studienergebnissen und zu den Unsicherheiten, die der G-BA möglicherweise gesehen hat. Es gibt im G-BA-Beschluss zudem Anforderungen an die qualitätsgesicherte Anwendung, die ins AIS übertragen werden müssen. Die Frage ist außerdem, wann Hinweise zur Wirtschaftlichkeit eingefügt werden, denn zum Zeitpunkt der Beschlussfassung sind die Preisverhandlungen noch nicht abgeschlossen. Das heißt aber nicht, dass Kosten völlig außen vor bleiben sollen. Man müsste sie aber im weiteren Verlauf immer wieder neu berechnen, um das AIS aktuell zu halten.
Das sind die Schwierigkeiten, die wir identifiziert haben und lösen müssen, sobald die Rechtsverordnung kommt. Von der anschließenden Erstellung der Verfahrensordnung – inklusive Stellungnahmeverfahren – bis zu dem Punkt, wo alle 260 Beschlüsse mit über 600 Subgruppen ins AIS eingespeist sind, haben wir zehn Monate Zeit. Das ist eine Herkulesaufgabe. Insgesamt ist es aber sehr wertvoll, dass nach sieben Jahren Anlauf nun Informationen aus den G-BA-Beschlüssen ins Arztinformationssystem einfließen, diese müssen aber handhabbar sein. Was Leitlinien angeht: Ich denke, im ersten Schritt würden Leitlinien möglicherweise das System überfrachten. Es ist auch aus meiner Sicht nicht sinnvoll, die komplette Nutzenbewertung abzubilden, sondern ausschließlich die G-BA-Beschlüsse, auch wenn sie in der Regel geglättet sind. Was gut wäre: die Informationen auch für Patienten nutzbar zu machen. Wir werden es wahrscheinlich so abbilden, dass es auf der Webseite des G-BA strukturierte Datenfelder geben wird, die jeder abrufen kann."
Dr. Markus Frick: "Die G-BA-Beschlüsse liefern wertvolle Informationen für das AIS, aber ohne Leitlinien zeigen sie den falschen Weg."
Dr. Markus Frick, Geschäftsführer des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller (VfA), gab in seinem Vortrag eine Antwort auf die Frage "Eignet sich die frühe Nutzenbewertung für ein Arztinformationssystem?": "Es wird von der kommenden Rechtsverordnung und der weiteren Ausgestaltung durch den G-BA abhängen, welche Form dieses Arztinformationssystem annehmen wird. Der Gesetzestext lässt sehr unterschiedliche Umsetzungen zu. Fakt ist: Das AMNOG ist konzipiert als Preisbildungs- und Einsparinstrument und liefert den Krankenkassen hohe Einsparungen. Hingegen ist das AMNOG nicht als Verordnungssteuerungsinstrument ausgelegt. Genau hier könnte das AMNOG durch ein falsch verstandenes AIS auf den Kopf gestellt werden. Nehmen wir zum Beispiel die Informationen, dass ein neues Medikament einen nicht belegten Zusatznutzen aufweist. Das AMNOG-Prozedere, wie diese Einstufung zustande gekommen ist, ist bekannt und akzeptiert: Es wird auf die vorgelegten Dossiers Bezug genommen, es wird in Studien auf Subgruppen fokussiert, und es werden Aussagen im Verhältnis zu einer zweckmäßigen Vergleichstherapie getroffen. Alles, was nicht in dieses Raster passt, wird ausgeblendet. Wenn der Hersteller die Studienvorstellungen der Selbstverwaltung nicht erfüllt, endet die Bewertung bei der Aussage eines nicht belegten Zusatznutzens. Für die Preisbildung mag diese relativ einfache Grundstruktur des AMNOG ausreichend sein. Meiner Meinung nach reicht sie aber nicht für eine Entscheidungsfindung aus, die darauf beruht, alle Behandlungsmöglichkeiten, Vorteile, Nachteile, Nebenwirkungen usw. zu kennen und abzuwägen. Ein nicht belegter Zusatznutzen bedeutet im AMNOG-Prozess einen Festbetrag. Bei einer Therapieentscheidung zwischen Arzt und Patient führt diese Einstufung in die Irre, wenn der nicht belegte Zusatznutzen als 'ohne Nutzen' oder 'medizinisch austauschbar' missdeutet wird und die Verordnung eines solchen Medikaments als qualitatives Problem erscheint, als nicht erstattungsfähig oder regressbedroht darstellt wird. Die unterschiedliche Zielsetzung des AMNOG zu anderen onkologischen Methoden zeigt sich auch sehr deutlich im Widerspruch zu Leitlinien. Es gibt unübersehbare inhaltliche Nichtübereinstimmungen sowie kategoriale und systematische Unterschiede zwischen diesen beiden Instrumenten: auf der einen Seite die Leitlinien als systematische Evidenzrecherche aus der Perspektive des Patienten heraus, auf der anderen Seite die Beschlüsse des G-BA als Ausgleich von Partialinteressen per gewichtigem Mehrheitsbeschluss. Und auch das AIS ist eine andere Größenordnung – es sind unterschiedliche Systeme im Kontext ihres jeweiligen Regelwerks. Ein systematischer Vergleich der AMNOG-Beschlüsse zur Onkologie mit evidenzbasierten Leitlinien belegt, dass diese strukturellen Unterschiede qualitativ zu ca. 60 Prozent zu Abweichungen führen. Das zeigt, dass AMNOG-Beschlüsse regelhaft nicht geeignet sind, evidenzbasierte Leitlinien zu ersetzen. Die G-BA-Beschlüsse liefern wertvolle Informationen, aber ohne Leitlinien zeigen sie im AIS den falschen Weg."
Prof. Stefan Huster: "Es wäre meines Erachtens rechtswidrig, wenn das neue AIS mit faktischen Verordnungsausschlüssen ausgestaltet wird."
Prof. Dr. Stefan Huster, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Sozial- und Gesundheitsrecht und Rechtsphilosophie, Ruhr-Universität Bochum, beleuchtete in seinem Vortrag die juristische Seite des Arztinformationssystems: "Die ursprüngliche Intention des neuen Arztinformationssystems war: Steuerung durch Information. Es geht darum, Ärzten aktuelle Informationen zu neuen Arzneimitteln und ihrem Zusatznutzen zu geben und dadurch natürlich das Verordnungsverhalten zu beeinflussen. Das ist etwas anderes als Steuerung unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten – das wollen die Kostenträger. Sie wollen die neuen Informationen mit Symbolen, wie roten Ampeln oder Daumen-hoch/runter, kenntlich machen. Das wäre faktisch ein Verordnungsausschluss, denn aus Angst vor Regressforderungen würde kein Arzt diese Medikamente verschreiben. Ist eine solche Ausgestaltung des AIS mit den bestehenden rechtlichen Grundlagen vereinbar?
Erstens: Im Wortlaut der Rechtsverordnung des BMG, besonders §73 Absatz 9, gibt es keinen Anhaltspunkt, dass mit dem AIS eigenständige Steuerungsambitionen unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten verfolgt werden sollen.
Zweitens: Wie ist die Auslegung der Systematik des Gesetzes? Der Gesetzgeber hat mit der Einführung des AMNOG die Möglichkeit von Verordnungsausschlüssen und Einschränkungen durch den G-BA eingeschränkt. Es wäre überraschend, wenn das mit dem AIS durch die Hintertür wieder möglich sein sollte. Es wäre also auch hier schwer mit dem gesetzlichen System vereinbar, wenn das AIS eine Verordnung in den Gruppen oder anerkannten Zusatznutzen per se als unwirtschaftlich oder unzweckmäßig kommunizieren würde.
Drittens: Das ist vielleicht der wichtigste Punkt aus juristische Sicht, nämlich das Verfassungsrecht. Ein AIS mit faktischen Verordnungsausschlüssen und Einschränkungen wäre von erheblicher Relevanz für die Grundrechte. Und zwar sowohl für die Grundrechte der Ärzte – Stichwort Therapiefreiheit – als auch für die Grundrechte der Patienten und natürlich auch der pharmazeutischen Unternehmer.
Mein Fazit ist also: Eine Steuerung über das Arztinformationssystem, die tatsächlich zu faktischen Verordnungsausschlüssen führt, wäre, wie wir Juristen das nennen, eine wesentliche Entscheidung, weil sie erstens Grundrechte berührt und zweitens das AMNOG-Verfahren grundlegend umgestalten und de facto eine Art vierte Hürde einführen würde. Dafür braucht man eine hinreichende gesetzliche Grundlage, und die haben wir nicht. Die Ausgestaltung des AIS in dem Sinne, dass hier eine Steuerung unter Wirtschaftlichkeitsaspekten vorgenommen wird und dass den Ärzten suggeriert wird, eine Verordnung in Subgruppen sei regelhaft unwirtschaftlich, ist durch die Rechtsgrundlagen nicht gedeckt. Es wäre meines Erachtens rechtswidrig, wenn das so ausgestaltet werden würde."
Prof. Thomas Seufferlein: "Das Ziel im Leitlinienprogramm Onkologie ist ein S3-Leitlinien-Arztinformationssystem."
Prof. Dr. Thomas Seufferlein, Ärztlicher Direktor der Klinik für Innere Medizin I am Universitätsklinikum Ulm, sprach zum Thema "Was müssen onkologische Leitlinien im Kontext des AIS leisten?" und stellte die Arbeit des Leitlinienprogramms Onkologie vor: "Bei den Leitlinien aus dem Leitlinienprogramm Onkologie, das unabhängig von wirtschaftlichen Interessen von der Stiftung Deutsche Krebshilfe finanziert wird, handelt es sich immer um S3-Leitlinien. Sie beruhen auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und in der Praxis bewährten Verfahren. Es sind systematisch entwickelte Hilfen für Ärzte zur Entscheidungsfindung in spezifischen Situationen, es sind keine Vorschriften. Sie ersetzen nicht die individuelle Entscheidung. Die Qualität wird unter anderem durch das Regelwerk des AWMF gesichert. Bei der Erstellung gibt es keine Fachdominanz oder -präferenz, sondern Multidisziplinarität, einschließlich Patientenbeteiligung. Es werden die Evidenz und die Empfehlungen aller Behandlungsmöglichkeiten aufgearbeitet, bewertet und gewichtet, und zwar in einem ausgewogenen Konsensusprozess. Zudem wird die Umsetzbarkeit in den klinischen Alltag gesichert. Wir leiten Handlungsalgorithmen ab, die für die Handhabung im Alltag ganz wichtig sind. Der Arzt kann auf einen Blick sehen: Was mache ich wann? Das ist auch für ein AIS interessant. Aus den Leitlinien werden nicht zuletzt Qualitätsindikatoren abgeleitet, die zum Beispiel in den Prozess zur Zertifizierung onkologischer Zentren einfließen und die Versorgung verbessern.
Unser Problem im Augenblick: Wir aktualisieren Leitlinien durchschnittlich im Dreijahresrhythmus – das ist natürlich viel zu lang und unter anderem dem komplexen Konsensusprozess geschuldet. Zudem können wir nicht alle Fragestellungen und Subgruppen in einer einzigen Leitlinie behandeln, wir müssen uns fokussieren. Wir können auch nicht zu jeder Fragestellung eine Evidenz liefern. An diesen Aspekten arbeiten wir derzeit, vor allem an den zeitlichen Abläufen. Die können wir verbessern, indem wir zum Beispiel nicht die gesamte Leitlinie, sondern nur spezifische Punkte, Selektivempfehlungen, wo es eine neue Evidenz gibt, aktualisieren. Das ist ein Prozess, der wenige Monate dauert und nicht drei bis vier Jahre. Elektronische Prozesse sind ebenfalls Beschleuniger und verbessern die Kontinuität – wir werden Leitlinien zunehmend elektronisch produzieren mit Webanwendungen, Apps, Datenbanken und Content Management Systemen, mit Suchfunktionen über alle Leitlinien hinweg, einstellbaren Kommentarfunktionen, Push-Nachrichten bei Aktualisierungen und der Möglichkeit, neue Fragestellungen einzubinden – Stichwort: Living Guidelines. Wir werden Personal haben, das kontinuierlich an den Leitlinien arbeitet, also eine operative Ebene, bevor Abstimmungsprozesse in der großen Gruppe beginnen. Wir nennen diesen Veränderungsprozess ‚Leitlinie 3.0‘ und wollen ihn bis Mitte dieses Jahres realisieren. Unser Ziel ist: ein S3-Leitlinien-basiertes Arztinformationssystem."
PD Dr. Thomas Illmer: "Das AIS, wie es jetzt angedacht ist, bedroht unsere Therapiekompetenz und Therapiefreiheit."
PD Dr. Thomas Illmer, Vorstand des Berufsverbandes der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen (BNHO), gab in seinem Vortrag "Wie sieht es heute aus? Bericht aus der Versorgung" einen Einblick in die Praxis: "Natürlich lesen wir Journals und bilden uns regelmäßig weiter. Wir wissen, welches Medikament Vorteile hat zum Beispiel gegenüber einer Chemotherapie. Die nächste Ebene ist die Leitlinie, die wir nutzen, um uns bei einer Entscheidung abzusichern. Wir haben Fachgruppen oder fachgruppenspezifische Empfehlungen, die wir zu Rate ziehen. Insofern haben wir mehrere Hinweise, dass ein Medikament eigentlich richtig ist. Und wir schauen nicht zuletzt auf internationale Standards, NCCN-Guidelines. Alles deutet in eine Richtung. Im G-BA-Beschluss haben wir dann aber oft die Situation, dass genau bei diesem Medikament kein Zusatznutzen belegt ist. Soll ich es einem Patienten nun verweigern? Wenn dann noch ein gewisser Druck ausgeübt wird, ausschließlich dem G-BA-Beschluss zu folgen, dann können Sie sich das Dilemma vorstellen. Somit ist das AIS, wie es jetzt angedacht ist, für uns etwas, das unsere Therapiekompetenz und Therapiefreiheit bedroht. Es würde uns im alltäglichen Handeln erheblich behindern, wenn wir aus Regressangst – und diese Regressangst kommt beim geplanten AIS auf – keine Verordnung treffen, bei der wir strafrechtliche Konsequenzen und zivilrechtliche Konsequenzen befürchten und natürlich auch von kassenärztlicher Seite angegangen werden können. Wir würden vor allem unsere Verpflichtung gegenüber dem Patienten, nach dem aktuellen Stand des medizinischen Wissens zu behandeln, nicht mehr einhalten können. Das AMNOG-Verfahren hat aus unserer Sicht immer etwas mit Preisfindung zu tun gehabt und eigentlich nichts mit einer medizinischen Betreuung. Es ist nicht geeignet, den individuellen Patientenkontakt zu gestalten. Die Zuständigkeit der Fachgesellschaften für die Betreuung der Patienten im empfehlungstechnischen Sinne – die würden wir ungern aufgeben. Noch ist nicht klar, wie das neue AIS gestaltet werden soll. Wir fragen uns aber: Welche Hinweise werden wir vom neuen AIS erhalten? Welche Zweckmäßigkeit, welche Wirtschaftlichkeit werden wir besser leisten können als jetzt, wo wir es ohnehin in unserem Bekenntnis zum KV-System schon umsetzen?"
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Referenten
Prof. Dr. Peter Albers (Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft, Berlin); Dr. Antje Behring (Verfahrenskoordinatorin Frühe Nutzenbewertung, Abteilung Arzneimittel, beim G-BA, Berlin); Dr. Markus Frick, Geschäftsführer des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller VfA, Berlin); Prof. Dr. Stefan Huster (Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Sozial- und
Gesundheitsrecht und Rechtsphilosophie, Ruhr-Universität Bochum); Prof. Dr. Thomas Seufferlein (Ärztlicher Direktor der Klinik für Innere Medizin I am Universitätsklinikum Ulm); Tino Sorge (Mitglied des Deutschen Bundestages); PD Dr. Thomas Illmer (Vorstand des Berufsverbandes der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen BNHO, Berlin)
Moderation: Lisa Braun