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Ursachen Tumor-assoziierter Fatigue

Fatigue gilt als eine multifaktorielle Erkrankung, also ein Phänomen, zu dessen Entstehung in der Regel viele Ursachen beitragen. Der Tumor selbst, aber auch die Therapien greifen in Stoffwechselprozesse und hormonelle Regelkreise ein und schaffen damit die Voraussetzungen für die Entstehung von Fatigue. Hinzu können weitere Faktoren wie eine erbliche Veranlagung, begleitende körperliche oder psychische Erkrankungen sowie verhaltens- und umweltbedingte Zustände kommen. Es fällt oft schwer, die verschiedenen Ursachen voneinander zu trennen, da manche Begleiterkrankungen wiederum auch Folge der Krebserkrankung oder der Krebstherapien sein können. Meist greifen die unterschiedlichen Faktoren ineinander und führen im Endergebnis zu den genannten Beschwerden. Jedoch lassen sich bestimmte Faktoren behandeln, wenn sie bekannt sind, wodurch sich Fatigue-Beschwerden oft wesentlich bessern. Es ist deshalb notwendig, den jeweiligen Ursachen so gut wie möglich auf den Grund zu gehen.

Fatigue als Folge von Tumoren und der Therapien

Ein bösartiger Tumor ist nicht einfach „nur“ eine wachsende Geschwulst – er beeinflusst auch den Stoffwechsel , hormonelle Prozesse und das Immunsystem. So werden etwa verstärkt entzündungsvermittelnde Botenstoffe gebildet und hormonelle Regelkreise, zum Beispiel der Schlaf-Wach-Rhythmus (Störung der Melatoninausschüttung), der Katecholamin- und der Serotonin-Stoffwechsel verändert. Dies kann dadurch ausgelöst werden, dass der Tumor eine direkt die Stoffwechselprozesse eingreift oder indem spezielle Gene verändert werden, die für die Bildung von Eiweißen verantwortlich sind, welche diese Prozesse steuern. Die Störungen, so vermuten Wissenschaftler, könnten sowohl Ausgangspunkte für die Entstehung von Fatigue als auch für Veränderungen des Erregungs- und Energiestoffwechsels der Muskeln sein.

Um eine Tumor-assoziierte Fatigue wirksam behandeln zu können, hilft es, die im jeweiligen Einzelfall zugrundeliegenden Ursachen zu kennen, die unmittelbar auf den Tumor und die Therapien zurückgehen. Hier kommt eine Reihe von Faktoren in Frage:

Nebenwirkung der Therapien

Quelle: © danielschoenen - fotolia.com

Bei der Behandlung von Krebserkrankungen kommen Therapien zum Einsatz, die Fatigue auslösen können. Einige Patient*innen vertragen die Krebstherapie gut und fühlen sich nur vorübergehend etwas weniger leistungsfähig. Andere jedoch entwickeln gravierende Beschwerden, die auch noch längere Zeit nach Beendigung der Therapie anhalten können.

  • Chemotherapie
    Verlässliche Zahlen sind nicht bekannt, aber Schätzungen zufolge kann bei bis zu 90 Prozent der Patient*innen, die sich einer Chemotherapie unterziehen, eine Tumor-assoziierte Fatigue auftreten. Auch hier wiederum liegt den Beschwerden nicht eine einzelne Ursache zugrunde, vielmehr greifen verschiedene Faktoren ineinander. So schädigen die bei der Chemotherapie eingesetzten Zytostatika neben den Krebszellen auch gesunde Körperzellen, wodurch Nebenwirkungen wie Blutarmut (Anämie) oder nervale Störungen hervorgerufen werden. Viele Patienten leiden während der Chemotherapie unter Schlafproblemen. Bekannt ist auch das Phänomen des „Chemobrain“, von Patient*innen oft als „Nebel im Kopf“ beschrieben, bei dem unter der Chemotherapie Konzentrationsschwierigkeiten, leichte Ablenkbarkeit, Vergesslichkeit und Denkstörungen auftreten.

  • Strahlentherapie
    Auch während und nach einer Strahlentherapie kommt es oft zu Fatigue-Beschwerden. Schätzungsweise 60 bis 80 Prozent der Patient*innen sind davon betroffen.
    Meist beginnt Fatigue in den ersten Wochen nach Beginn der Bestrahlung, bleibt dann stabil und geht nach dem Ende der Behandlung zurück. Bei einer Kombination von Chemo- und Strahlentherapie kann besonders intensive Fatigue auftreten.

  • Immuntherapie
    Immuntherapeutika wie Interferon, Interleukin oder die neuartigen Checkpoint-Blocker aktivieren das Immunsystem zu einer Reaktion gegen die Krebszellen, die ähnlich der Abwehrreaktion bei einem grippalen Infekt ist. Die Patienten fühlen sich deshalb bei diesen Therapien oft abgeschlagen, verspüren Muskel- und Knochenschmerzen und können Fieber und Schüttelfrost bekommen. Unter einer Tumor-assoziierten Fatigue leiden etwa 15 bis 40 Prozent von ihnen. Sie kann auch über Behandlung hinaus andauern und eine Langzeitfolge einer Immuntherapie sein.

  • Operation
    Nach einer Operation sind die meisten Patienten sehr erschöpft. Der Blutverlust, die Veränderungen des Wasser- und Mineralienhaushalts und die Müdigkeit infolge der Narkose erklären die Abgeschlagenheit in den ersten Tagen nach dem Eingriff. Danach setzen die Wundheilungsprozesse ein, bei denen der Umsatz von Energie und Eiweiß erhöht ist, was ebenfalls eine ausgeprägte Müdigkeit hervorrufen kann. Ihre maximale Intensität erreicht sie im Durchschnitt zehn Tage nach der Operation. Anschließend bessert sie sich allmählich, und die Patienten sind nach drei bis vier Wochen vollständig wiederhergestellt.

Weitere Ursachen

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Bestimmte Erkrankungen sind dafür bekannt, dass sie zu Fatigue-Beschwerden führen. Sie können durch den Tumor selbst ausgelöst werden, Nebenwirkung der Krebstherapien sein oder „selbstständig“ als Begleiterkrankung auftreten.

  • Blutarmut (Anämie)
    Blutarmut (Anämie) entsteht durch einen Mangel an roten Blutkörperchen. Diese Blutzellen, die im Knochenmark gebildet werden, enthalten roten Blutfarbstoff, das eisenhaltige Hämoglobin. Es bindet den Sauerstoff, der über die Lunge aufgenommen wird, und transportiert ihn im Blutstrom in die Körpergewebe. Sind nicht genügend rote Blutkörperchen vorhanden, fehlt dem Körper Sauerstoff. Die Betroffenen fühlen sich kraftlos und erschöpft, ihre körperliche und geistige Leistungsfähigkeit nimmt ab. Hinzu kommen Beschwerden wie Kurzatmigkeit, Herzrasen, Ohrensausen und ein Schwächegefühl in Armen und Beinen.
    Chemo- und Strahlentherapie verursachen oft Anämie. Aber auch Blutungen und ein Mangel an Eisen sowie den Vitaminen B12 und Folsäure können zu Blutarmut führen.

  • Mangelernährung und Gewichtsverlust
    Etwa die Hälfte aller Krebspatient*innen erleidet im Laufe der Erkrankung einen Verlust an Fett- und Muskelmasse und damit an Körpergewicht. Dieses Phänomen wird auch als Tumorkachexie bezeichnet. Bei bestimmten Krebsarten im Kopf-Halsbereich und oberen Magen-Darmtrakt, bei hoch-malignen, also besonders aggressiven Lymphomen und bei kleinzelligem Lungenkrebs sind oft sogar noch mehr Patienten betroffen. Eine Mangelernährung kann praktisch in jedem Erkrankungsstadium auftreten, ist aber häufiger, wenn sich der Tumor bereits weit ausgebreitet hat. Bei vielen Patienten beginnt sie schon vor der Diagnosestellung.
    Verschiedene Faktoren spielen bei der Entstehung von Tumorkachexie zusammen. Bösartige Tumoren verursachen chronische Entzündungen und regen den Stoffwechsel an. Botenstoffe des Immunsystems, sogenannte Zytokine, werden aktiv und beeinflussen den Hormonhaushalt und Stoffwechsel, sodass trotz des zunehmenden Verlusts an Fett- und Muskelmasse Appetit-steigernde und Hungergefühl-auslösende Wirkungen ausbleiben. Auch fördern die Zytokine den Abbau der Muskulatur, Eiweiße werden zersetzt, und der Aufbau neuer Eiweiße wird verlangsamt. Es kommt zu einem sogenannten katabolen Zustand, bei dem mehr Muskel- und Fettmasse abgebaut wird, als gleichzeitig neu gebildet werden kann.
    Hinzu kommen Schwierigkeiten zu essen bzw. die Nährstoffe im Magen-Darmtrakt richtig aufzunehmen und zu verarbeiten. Die Gründe dafür sind vielfältig und können sowohl von der Krebserkrankung selbst als auch von den Therapien herrühren: Übelkeit und Erbrechen, vorzeitiges Sättigungsgefühl bei der Nahrungsaufnahme, Appetitlosigkeit, Geschmacksveränderungen, Mundtrockenheit, schmerzhafte Entzündungen der Mundschleimhaut (Stomatitis) und des Zahnfleischs, Pilzinfektionen der Mundschleimhaut (Mundsoor), Darmprobleme wie Verstopfung oder Durchfall, Schluckprobleme und Geruchsstörungen kommen in Frage.Der entstehende Mangel an Energiestoffen, Vitaminen und Mineralien führt zu einem dauerhaften Energiedefizit, das der Körper auszugleichen versucht. So wird bei einem Eiweißmangel Muskelgewebe abgebaut. Die Leistungsfähigkeit geht massiv zurück, der Körper ist anhaltend erschöpft.

  • Abnahme der Muskelmasse
    Auch fehlende körperliche Bewegung führt zum Rückgang der Muskeln. Viele Krebspatienten reduzieren ihre Aktivitäten, entweder, weil sie akute Beschwerden haben, ihnen Antrieb und Motivation für körperliche Aktivitäten fehlen oder weil sie befürchten, dass sich ihr Zustand durch eine zu hohe Belastung verschlechtern könnte. Dies endet unter Umständen in einem Teufelskreis: Der Körper reagiert auf die fehlende Bewegung mit einem Abbau der Muskulatur, die Leistungsfähigkeit geht zurück, was die Betroffenen veranlasst, sich noch weniger zu bewegen, und der Muskelabbau schreitet fort. Auch in diesem Fall kann anhaltende Erschöpfung die Folge sein.

  • Psychische Belastungen
    Angst, das Leben zu verlieren, Angst vor den Folgen der Therapien, Ängste und Sorgen darum, wie die nächsten Angehörigen die Situation verkraften, der notwendig gewordene Umgang mit einem veränderten körperlichen Aussehen nach Operationen oder Chemotherapie, der Verlust an Autonomie, weil ständige Arztbesuche und Therapien notwendig sind, Angst davor, dass die Krankheit nach der Therapie zurückkehrt – die Liste der seelischen Belastungen, die mit einer Krebserkrankung verbunden sind, ist lang. Mitunter entwickeln sich daraus psychische Folgen, etwa eine Depression oder Anpassungsstörung.
    Depressive Patient*innen leiden meist unter einem Gefühl der Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit und Leere. Sie haben wenig Appetit, können nicht richtig schlafen, verlieren das Interesse an Hobbys, meiden den Kontakt mit anderen Menschen und leiden häufig auch unter Konzentrationsschwäche und Gedächtnisstörungen. Einige der Beschwerden gleichen denen einer Fatigue, weshalb sich Mediziner lange Zeit nicht sicher waren, ob Fatigue eine spezielle Form der Depression sein könnte. Inzwischen gilt es als sicher, dass es sich um zwei verschiedene Erkrankungen handelt. So liegt nur bei etwa einem Drittel der Patient*innen mit Tumor-assoziierter Fatigue gleichzeitig eine depressive Störung im Sinne einer „Major Depression“ vor. Allerdings können Antidepressiva in manchen Fällen die Stimmung bei Fatigue-Patient*innen aufhellen und sogar die körperliche Erschöpfung lindern. Manche Betroffene profitieren deshalb davon, wenn sie psychiatrisch untersucht werden, um gegebenenfalls eine sachgerechte medikamentöse Behandlung gegen depressive Symptome verordnet zu bekommen.

  • Schlafstörungen
    Wer zu wenig oder schlecht schläft, fühlt sich am nächsten Tag müde und ausgelaugt. Je größer das Schlafdefizit wird, desto stärker werden auch die Müdigkeit und Erschöpfung. Die Betroffenen können sich schlechter konzentrieren, sie vergessen schnell. Bei Krebspatient*innen können verschiedene Faktoren für Schlafstörungen sorgen: Veränderungen im Schlaf-Wach-Rhythmus, weil die Melatoninausschüttung gestört ist; aber auch Sorgen und Ängste, die mit der Krankheit verbunden sind, können den Schlaf rauben. Bis zu dreimal häufiger als die Allgemeinbevölkerung leiden Krebspatienten unter Schlafstörungen.

  • Begleiterkrankungen
    Unter Müdigkeit und Erschöpfung leiden auch Patient*innen mit neurologischen Erkrankungen wie Morbus Parkinson und multipler Sklerose. Erkrankungen der Schilddrüse und der Nebennierenrinde gehen ebenfalls mit einer ausgeprägten Müdigkeit einher. Auch bei Erkrankungen der Niere, des Herzens oder der Lunge ist die Leistungsfähigkeit oft sehr eingeschränkt. Krebspatienten leiden zudem infolge der Therapien oft unter einer erhöhten Infektanfälligkeit, wobei die Reaktionen des Immunsystems an den Energiereserven zehren und die Erschöpfung verstärken. Auch chronische Schmerzen können zur Entstehung von Fatigue beitragen.

     

Die Erfahrungen im Umgang mit Tumor-assoziierter Fatigue zeigen, dass bei vielen Patienten keine eindeutige psychosoziale oder körperliche Ursache identifiziert werden kann.

Quellen:

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[11] Krebsassoziierte Fatigue: Chronische Erschöpfung kann behandelt werden. Online Artikel vom 02.02.2022. www.degro.org/krebsassoziierte-fatigue-chronische-erschoepfung-kann-behandelt-werden/

[12] Fischer, I. et al.: Tumorassoziierte Fatigue bei Immuncheckpointinhibitoren. Onkologe 2021 · 27:1120–1124. DOI: 10.1007/s00761-021-01042-2

Fachberatung:

Prof. Dr. med. Florian Lordick, Leipzig, Sprecher der AG Palliativmedizin in der Deutschen Krebsgesellschaft

Prof. Dr. med. Oliver Rick, Bad Wildungen, Vorsitzender der AG Supportive Maßnahmen in der Onkologie, Rehabilitation und Sozialmedizin (ASORS)

Letzte inhaltliche Aktualisierung am: 24.09.2022

Zuletzt aufgerufen am: 24.04.2024 17:07