Angaben zum Autor, Fachberater und Erstelldatum finden Sie am Ende des Beitrages.

Krebs und finanzielle Not

Taschenrechner
Quelle: © AdobeStock_55461726

Wer eine Krebsdiagnose erhält, sorgt sich zuallererst um das eigene Leben und die Gesundheit. Was viele nicht wissen, auch finanziell kann eine Krebserkrankung äußerst belastend sein. Auf Patient*innen kommen neben zusätzlichen Ausgaben vor allem Einkommenseinbußen zu. Zudem schafft mindestens jeder Fünfte den Wiedereinstieg ins Berufsleben nicht. Marie Rösler hat viele Betroffene beraten. Sie erklärt, wer finanziell besonders gefährdet ist, wo Gefahren liegen und wie die Rückkehr in die Arbeit gelingen kann.

Eine Krebstherapie soll das eigene Leben retten. Dafür fordern die Behandlungen von den Patient*innen für lange Zeit alle Kraft. In der Regel ist es nicht möglich, neben der Krebstherapie weiterhin berufstätig zu sein. Die Folge: Das Einkommen sinkt. Bei Arbeitnehmer*innen spätestens, wenn nach der sechswöchigen Lohnfortzahlung das Krankengeld beginnt. Außerdem steigen die Ausgaben, weil Zuzahlungen notwendig werden. Diese finanziellen Belastungen treffen Betroffene häufig völlig unerwartet. Hinzu kommt der bürokratische Aufwand, berichtet Marie Rösler. Die Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Soziale Arbeit in der Onkologie (ASO) der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG), berät Patient*innen bei ihrem Weg durch die Krankheit. Finanzielle Sorgen gehören in den Gesprächen zum Alltag.

Zusätzliche Ausgaben kommen auf jeden zu

Wer krank wird und behandelt werden muss, hat zusätzliche Ausgaben. Meist handelt es sich um Zuzahlungen für Medikamente. Hinzu kommen Ausgaben und Zuzahlungen etwa für Taxifahrten zur Strahlen- und Chemotherapie oder für eine Haushaltshilfe. Selbst aufbringen müssen Patient*innen einen Betrag von zwei Prozent des jährlichen Bruttoeinkommens aller Haushaltsmitglieder. Ist die so ermittelte individuelle Belastungsgrenze erreicht, wird der*die Betroffene von der Zuzahlung befreit. Nach einem Jahr Krebsbehandlung verringert sich die Zuzahlung auf ein Prozent, wenn Patient*innen einen entsprechenden Antrag bei der Krankenkasse stellen. Ist der*die Betroffene oder ein anderes Haushaltsmitglied bereits wegen einer anderen Erkrankung (z. B. Bluthochdruck) länger als ein Jahr in ärztlicher Behandlung, gilt ebenfalls die reduzierte Belastungsgrenze. So oder so: Eine Krebstherapie belastet den Geldbeutel vom ersten Tag der Behandlung an.

Lohnfortzahlung und Krankengeld gibt es nur für insgesamt 78 Wochen

Zusätzlich müssen sich Patient*innen während der Krebserkrankung und bis zur vollständigen Rückkehr ins Erwerbsleben mit verringerten Einnahmen arrangieren. Einkommenseinbußen betreffen vor allem krebsbetroffene Menschen im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 65 Jahren. Das sind in Deutschland ungefähr 1,5 Millionen Menschen. Allerdings sind auch Rentner*innen und Pensionär*innen betroffen, die sich über eine zusätzliche Beschäftigung Geld zu ihrer Rente oder Pension hinzuverdienen. Wie schwer die finanziellen Einbußen wiegen, hängt vom Gesamteinkommen ab. Je niedriger die Einkünfte, desto höher ist die Gefahr, durch die Krebserkrankung unter die Armutsschwelle zu rutschen.

Für Angestellte bedeutet eine Krankschreibung erst einmal eine Lohnfortzahlung für sechs Wochen. Danach besteht Anspruch auf weitere 72 Wochen Krankengeld. Wenn die Arbeitsunfähigkeit nach diesen insgesamt 78 Wochen noch weiter besteht, haben Betroffene bei Vorliegen der Voraussetzungen Anspruch auf Arbeitslosengeld I, auch wenn sie nicht arbeitslos sind. Das sei, laut Marie Rösler, für Betroffene schwer zu verstehen. Für das Arbeitslosengeld I ist ein Antrag des*der Betroffenen erforderlich; er muss rechtzeitig zirka zwei bis drei Monate vor dem Ende des Krankengeldes bei der zuständigen Agentur für Arbeit gestellt werden, damit es zu keinen Lücken kommt und damit zusätzliche finanzielle Einbußen beim Übergang vom Krankengeld ins Arbeitslosengeld vermieden werden.

Alleinerziehende, Selbstständige und junge Menschen sind besonders betroffen

Studentenarmut bei Krebserkrankung
Quelle: © AdobeStock_283769353

Arbeitnehmer*innen sind während ihrer Krankheitsphase durch die Sozialleistungen meist gut abgesichert. Das gilt aber nicht für alle. „Bestimmte Gruppen sind häufiger von finanziellen Problemen betroffen", erklärt Rösler. Alleinerziehende Mütter beispielsweise sind öfter auf das Einkommen aus Minijobs angewiesen. Entfällt die Lohnfortzahlung nach sechs Wochen, fallen auch die so wichtigen zusätzlichen Einkünfte weg. Krankengeld gibt es für geringfügige Beschäftigungen nicht.

Für Selbstständige können Versicherungsbeiträge ein ernst zu nehmendes Problem sein. Vor allem wer deshalb keine Krankentagegeld-Versicherung abgeschlossen hat, den trifft eine Krebserkrankung finanziell besonders hart. Dann bleibt vom ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit an das Einkommen aus. Dadurch landen Selbstständige nicht selten im Arbeitslosengeld II beziehungsweise in der Sozialhilfe.

Des Weiteren haben junge Menschen verhältnismäßig oft mit finanziellen Sorgen zu kämpfen. Sie haben meist noch keine Einkünfte und keine finanziellen Rücklagen. Insbesondere wer bereits durch die Gründung einer Familie hohen finanziellen Belastungen gegenübersteht, wird hart getroffen. Bei Student*innen, die BAföG beziehen, fällt die Unterstützung im Krankheitsfall nach drei Monaten weg. Auch sie sind danach gezwungen, Arbeitslosengeld II beziehungsweise Sozialhilfe zu beantragen.

Aufforderung zur Beantragung von Leistungen zur Teilhabe kann belastend sein

Anträge stellen
Quelle: © AdobeStock_254679543

Ein Thema, das der Expertin besonders wichtig ist, ist der Paragraf 51 des fünften Sozialgesetzbuches (SGB V). § 51 SGB V ermöglicht es den gesetzlichen Krankenkassen, Versicherte zur Beantragung einer Rehabilitationsmaßnahme (Leistung zur Teilhabe) aufzufordern, falls ein ärztliches Gutachten festgestellt hat, dass ihre Erwerbsfähigkeit erheblich gefährdet oder gemindert ist. Bei langwieriger Erkrankung und Arbeitsunfähigkeit sollen so rechtzeitig Rehabilitationsmaßnahmen zur Erhaltung der Erwerbsfähigkeit in Anspruch genommen werden können. Nach Abschluss der Krebsbehandlung macht die Rehabilitationsmaßnahme sehr viel Sinn, nicht jedoch, wenn die Aufforderung den krebskranken Menschen unvorbereitet während der Krebsbehandlung erreicht, so Rösler. In dieser Situation führe das Aufforderungsschreiben der Krankenkassen zu Verwirrung, weil Betroffene in der Regel die Hintergründe nicht kennen und das Schreiben nicht verstehen.

Die Aufforderung kann unterschiedliche Folgen haben:

  • Kommt der*die Betroffene der Aufforderung, den Antrag zu stellen, nicht innerhalb einer Frist von zehn Wochen nach, stellt die Krankenkasse die Krankengeldzahlung bis zur Antragseinreichung ein.
  • Ist der Rehabilitationsantrag bewilligt, erhält der*die Betroffene während der Rehabilitationsmaßnahme Übergangsgeld der Rentenversicherung.
  • Stellt die Rentenversicherung bei der Prüfung des Antrags oder aufgrund des Reha-Abschlussberichtes der Rehaklinik fest, dass die*der Betroffene aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr erwerbstätig sein kann, gilt der Rehabilitationsantrag als Rentenantrag.


Auch psychisch ist die Aufforderung nach § 51 SGB V belastend. Es ist ein Schreiben, das vielfach Hoffnung und Zuversicht nimmt, berichtet Rösler. "Die Patientin ist mit voller Kraft in der Behandlung. Sie hat die Hoffnung, dass sie wieder auf die Beine kommt. Dann kommt ein Brief, der schon im ersten Satz darauf hinweist, dass ihre Erwerbsfähigkeit nach ärztlichem Gutachten erheblich gefährdet ist. Der Aufforderungsbescheid setzt Betroffene enorm unter Druck."

Allerdings müssen Betroffene die Aufforderung der Krankenkasse zur Reha-Antragstellung nicht fraglos hinnehmen. Es besteht die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen. Das muss jedoch genau abgewogen werden. Deshalb und wegen der komplexen Zusammenhänge ermutigt Rösler Betroffene, bei Erhalt eines solchen Schreibens Kontakt mit dem Sozialdienst im Krankenhaus oder mit einer ambulanten Krebsberatungsstelle aufzunehmen.

Sozialhilfe oder Erwerbsminderungsrente müssen keine Einbahnstraße sein

Weiterbildung und Wiedereinstieg in den Beruf
Quelle: © AdobeStock_379257805

Was aber, wenn man auch weiterhin nicht arbeiten kann. Viele haben, laut Rösler, dann das Gefühl zu versagen. Umso wichtiger ist, dass Betroffene wissen, dass sie kein Einzelfall sind. "Etwa zwanzig bis dreißig Prozent aller Krebsüberlebenden schaffen den Wiedereinstieg in den Beruf nicht", berichtet Rösler. "Von den übrigen schaffen es viele nur in Teilzeit."

Personen, die krankheitsbedingt nicht mehr erwerbstätig sein können, haben Anspruch auf Erwerbsminderungsrente, wenn sie die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen. Auch Selbstständige können diese beantragen, wenn sie bei der Rentenversicherung pflichtversichert sind oder sich freiwillig bei der Deutschen Rentenversicherung rentenversichert haben. Wer noch mindestens drei, aber unter sechs Stunden arbeiten kann, der*die kann eine teilweise Erwerbsminderungsrente beantragen.

Voraussetzung für beide Formen der Erwerbsminderungsrente ist neben der festgestellten Leistungsminderung, dass der*die Versicherte die allgemeine Wartezeit (fünf Jahre Rentenversicherungsbeiträge) erfüllt und in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge an die Rentenversicherung entrichtet hat. Sind die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, bleibt die Sozialhilfe. Doch diese oder die Erwerbsminderungsrente müssen keine Einbahnstraßen sein. Stabilisiert sich der Gesundheitszustand, können Betroffene auch wieder in die Erwerbstätigkeit zurück. Erwerbsminderungsrenten werden deshalb häufig auf Zeit gewährt.

Kontakt zu Arbeitsstelle hilft, damit die Rückkehr klappt

Für den Wiedereinstieg ins Berufsleben ist es hilfreich, so Rösler, mit dem*der Arbeitgeber*in und den Kolleg*innen in Kontakt zu bleiben, vorausgesetzt, die Kräfte reichen dafür aus. Wer sich regelmäßig meldet, wird nicht vergessen und findet leichter zurück. Auch der*die Arbeitgeber*in sollte beziehungsweise muss sich sogar melden. Wenn der Arbeitgeber sich schriftlich mit einer Einladung zu einem sogenannten BEM-Gespräch (Betriebliches Eingliederungs-Management) meldet, befürchten viele Betroffene den Verlust ihrer Arbeitsstelle, so Rösler. Wenigen ist bekannt, dass die Sozialgesetzgebung Arbeitgeber*innen zu einem solchen Gespräch verpflichtet, sobald ein*e Arbeitnehmer*in länger als sechs Wochen im Jahr krank ist.

Das BEM-Gespräch soll klären, was die jeweilige Person braucht, um den Weg zurück zur Arbeit zu finden. So kann zum Beispiel vereinbart werden, dass die Rückkehr nicht abrupt, sondern schrittweise nach dem Hamburger Modell erfolgen soll. Weitere Hilfen können etwa besondere Arbeitsmittel sein wie ein höhenverstellbarer Schreibtisch oder eine ergonomische Tastatur. Die Vereinbarung flexibler Arbeitszeiten kann den Wiedereinstieg für Betroffene erheblich erleichtern und Druck nehmen. Ist die Rückkehr an den früheren Arbeitsplatz wegen der gesundheitlichen Einschränkungen erst einmal nicht möglich, kann im BEM-Gespräch auch über einen Wechsel auf einen anderen Arbeitsplatz im Betrieb gesprochen werden. Ins BEM-Gespräch gehören auch Überlegungen des*der Betroffenen, die Arbeitszeit zu verringern.

Die Krebsberatung ist wichtig, damit niemand durch die Maschen fällt

Beratungsgespräch
Quelle: © AdobeStock_213799730

Vor allem körperlich anstrengende Berufe lassen sich nach überstandener Krebserkrankung oft nicht mehr ausüben. Berufliche Einschränkungen und berufliche Perspektiven sind ein wichtiges Thema in der Rehaklinik. Hier werden in der Regel die Weichen für Qualifizierungsmaßnahmen wie Umschulungen und Weiterbildungen gestellt. Diese Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben können auch von dem*der Betroffenen selbst bei der Rentenversicherung beantragt werden, wenn nach Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit deutlich wird, dass die vor der Krebserkrankung ausgeführte Tätigkeit nicht mehr zu bewältigen ist.

Wie die Expertin unterstreicht, ist Beratung in jeder Situation hilfreich – unabhängig davon, ob ein Patient gerade erst die Krebsdiagnose erhalten hat oder eine Krebsüberlebende wieder ins Arbeitsleben einsteigen will. Marie Rösler ermutigt daher alle Betroffenen, eine Beratung aufzusuchen. Denn noch immer fallen Menschen durch die Maschen des sozialen Netzes, weil sie nicht wissen, was ihnen zusteht und sie ihre Leistungsansprüche nicht vollends ausnutzen. Die Berater*innen helfen einerseits auf dem Weg durch die Krise und den rechtlichen Dschungel. Andererseits sei es ganz besonders wichtig, den Menschen zu zeigen, dass sie nicht versagen und dass sie mit den wirtschaftlichen Problemen nicht alleine sind.

Hier finden Sie Adressen von Krebsberatungsstellen.

Marie Rössler Fachberatung Armut und Krebs
Quelle: © Marie Rösler

Fachliche Beratung

Marie Rösler ist die Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft für Soziale Arbeit in der Onkologie (ASO) der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG). Mit der Gründung der ASO im Jahr 2015 erweiterte die Sektion B der DKG ihr Spektrum um die Soziale Arbeit als wichtigen Teil des Gesamtversorgungskonzeptes für onkologische Patient*innen. Fachkräfte der Sozialen Arbeit unterstützen Patient*innen bei psychosozialen Themen, etwa im Bereich Familie, bei der Bewältigung des Alltags und zur wirtschaftlichen Sicherung. Die ASO setzt sich für eine Verbesserung der psychosozialen Versorgung von Menschen mit Krebserkrankungen und ihren Angehörigen in Deutschland ein, fördert die Forschung und sensibilisiert die Öffentlichkeit für die soziale Situation krebskranker Menschen.
Arbeitsgemeinschaft Soziale Arbeit in der Onkologie (ASO)

Letzte inhaltliche Aktualisierung am: 13.01.2022

Mehr zum Thema Leben mit Krebs - Beratung und Information:

Themen:

Zuletzt aufgerufen am: 28.03.2024 15:56