Angaben zum Autor, Fachberater und Erstelldatum finden Sie am Ende des Beitrages.

Genetisch bedingter Darmkrebs

Darm
Quelle: © nerthuz - fotolia.com

Darmkrebs gehört zu den häufigsten Krebsarten in Deutschland. Zumeist ist die Ursache ungeklärt. Drei bis fünf Prozent aller Fälle lassen sich auf bekannte Genveränderungen zurückführen, die vererbt werden können und vor allem Dickdarmkrebs auslösen. Betroffene haben ein sehr hohes Risiko, bereits jung zu erkranken. Es gibt jedoch effektive Vorsorgeprogramme.

Den Angaben des Zentrums für Krebsregisterdaten am Robert Koch Institut (RKI) zufolge erkranken in Deutschland jährlich zwischen 62.000 und 64.000 Menschen neu an Krebs des Dick- und Enddarms. Hinzu kommen mehrere tausend Fälle, in denen Krebsfrühstadien festgestellt werden. (1) Der Altersschwerpunkt liegt dabei deutlich im fortgeschrittenen Lebensalter. Mehr als die Hälfte der Betroffenen ist zum Zeitpunkt der Diagnose über 70 Jahre alt, nur jeder Zehnte ist jünger als 55 Jahre. (1)

Oft zu spät entdeckt

Dies gilt jedoch nicht für Menschen, die von erblichem Darmkrebs betroffen sind. Bei ihnen liegen bestimmte Veränderungen (Mutationen) in einzelnen Genen vor, die wichtige Funktionen bei der Steuerung des Zellzyklus und der Reparatur von Erbgut-Schäden (DNA-Schäden) haben. Diese Gendefekte werden über die Keimbahn weitergegeben und führen dazu, dass schon früh krankhafte Umbauprozesse im Gewebe stattfinden und Betroffene zumeist in ungewöhnlich jungen Jahren an Darmkrebs erkranken – etwa zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr. (2,3)

Da Vorsorgeprogramme wie Tests auf Blut im Stuhl oder Darmspiegelungen standardmäßig erst ab dem 50. bzw. 55 Lebensjahr angeboten werden, kommen sie für diese Patienten meist zu spät. Umso wichtiger ist es, auf Kriterien zu achten, die auf das Vorliegen einer erblichen Darmkrebsform hinweisen können.

Woran erkenne ich mein Risiko?

ältere Frau wird von jüngeren umarmt
Quelle: © absolut - fotolia.com

Für eine persönliche Gefährdung spricht, wenn nahe Verwandte bereits Darmkrebs hatten und die Erkrankung zumindest in einem Fall früh (vor dem 50. Lebensjahr) aufgetreten ist. Auch wenn ein Familienangehöriger mehrmals im Laufe des Lebens an Darmkrebs erkrankt oder in der Familie weitere Krebserkrankungen, zum Beispiel Magenkrebs, Gebärmutterschleimhautkrebs oder ein Hirntumor, festgestellt werden, könne dies auf ein erbliches Tumorsyndrom hinweisen, sagt Prof. Stefan Aretz, Oberarzt und Facharzt für Humangenetik am Zentrum für familiären Darmkrebs und Sprecher des Zentrums für erbliche Tumorerkrankungen des Universitätsklinikums Bonn. Eine Genveränderung in der Keimbahn kann sich auf alle Körperzellen auswirken, weshalb in betroffenen Familien immer auch Krebserkrankungen in anderen Organen möglich sind. (2,4)

Nach den neusten Erkenntnissen ist die Familiengeschichte jedoch nicht mit dem Profil genetischer Risikomarker zu verwechseln. Letztere sind winzige genetische Veränderungen im Erbgut, so genannte Polymorphismen. Beide Faktoren liefern weitestgehend voneinander unabhängige Informationen, sodass eine Kombination aus beiden Informationsquellen eine vielversprechende Möglichkeit darstellt, die Risikovorhersage für Darmkrebs zu präzisieren. Die familiäre Häufung von Darmkrebs geht nicht zwangsläufig auf genetische Ursachen zurück. Stattdessen können es gemeinsame, nicht-genetische Ursachen sein, die dafür verantwortlich sind, beispielsweise Rauchen oder körperliche Trägheit. Ob nun Darmkrebs in der Familiengeschichte vorkommt, oder nicht: Eine hohe Anzahl an genetischen Risikomarkern steigert in beiden Fällen die Wahrscheinlichkeit, an Darmkrebs zu erkranken. Das bedeutet, dass die erbliche Mutation einen Teil der Risikomarker darstellen kann, aber nicht muss. Ein anderer Teil sind nicht auf die Familie zurückführbare genetische Mutationen. (9)

HNPCC und FAP sind die häufigsten Formen von vererbbarem Darmkrebs

Ist eine Mutation erblich bedingt,  zeigen sich je nach spezieller Genmutation in einer Familie unterschiedliche erbliche Darmkrebsformen oder auch Tumorsyndrome. Grundsätzlich kann zwischen Formen von erblichem Dickdarmkrebs ohne Polyposis (hereditäres nicht polypöses kolorektales Karzinom, abgekürzt HNPCC oder auch Lynch-Syndrom) und den erblichen Polyposis-Syndromen unterschieden werden.

„Fast alle Formen von Darmkrebs, auch HNPCC, entwickeln sich auf der Grundlage von Polypen, also gutartigen Darmgeschwülsten“, sagt Aretz. Polyposis-Syndrome sind jedoch mit dem Auftreten ungewöhnlich vieler Polypen im Darm verbunden. Bei der häufigsten Form, der klassischen familiären adenomatösen Polyposis (FAP), die zugleich auch zweithäufigste erbliche Darmkrebsform hinter HNPCC ist, entwickeln Betroffene meist schon im Teenageralter erste Polypen; später können hunderte bis tausende  auftreten. Bei erblichem Dickdarmkrebs ohne Polyposis (HNPCC) liegt keine wesentlich vermehrte Anzahl von Darmpolypen vor. Diese Genmutation führt Aretz zufolge aber dazu, dass der Zeitraum der Krebsentstehung aus den Polypen verkürzt ist.

Hohes Darmkrebsrisiko

Ärztin im Gespräch mit Mutter und Kind
Quelle: © lily - fotolia.com

Menschen mit solchen Gendefekten haben folglich ein sehr hohes Risiko, im Laufe ihres Lebens an Darmkrebs, aber auch an weiteren Tumoren zu erkranken. Beim HNPCC entwickeln aktuellen Erhebungen zufolge ohne präventive Maßnahmen bis zu 70 Prozent aller Betroffenen Darmkrebs, bis zu 50 Prozent Gebärmutterschleimhautkrebs, bis zu acht Prozent Eierstockkrebs und bis zu fünf Prozent Magenkrebs. (5) Bis zu 2% der HNPCC-Betroffenen bekommen ZNS-Tumoren (Tumoren des Gehirns und Rückenmarks). (5) Träger der FAP-Mutation haben ein nahezu 100-prozentiges Darmkrebsrisiko. Das heißt, sie erkranken ohne eine adäquate Vorsorge und Therapie in fast jedem Fall an Darmkrebs. (6)

Jedes zweite Kind betroffener Eltern erbt die Genmutation

Die Veranlagung für eine erbliche Tumorerkrankung wird bei den meisten bekannten Syndromen mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit an die Nachkommen weitergegeben. Statistisch gesehen erbt demnach jedes zweite Kind die risikobehaftete Erbanlage vom betroffenen Elternteil. (7)

Auf jeden Fall abklären lassen

Besteht ein entsprechender Verdacht, sollte in jedem Fall eine humangenetische Abklärung und Beratung in einem qualifizierten Zentrum erfolgen, betont Aretz. Die dortigen Spezialisten prüfen das Risiko für das Vorliegen einer erblichen Krebserkrankung und klären zu den weiteren Untersuchungen auf, wie etwa zu möglichen Gentests, und deren Konsequenzen. Die Beratung schließt auch eine Risikoeinschätzung für weitere Personen in der Familie ein. (7) Entsprechende Kontakte zu den Zentren sind im Serviceteil unten gelistet.

Gentests sichern die Diagnose und helfen Angehörigen

Frau in Labor mit Reagenzgläsern
Quelle: © Minerva Studio - fotolia.com

Ist die spezifische familiäre Genmutation durch Tests bei einem bereits erkrankten Familienmitgliedes bekannt, kann Angehörigen ein prädiktiver (vorhersagender) Gentest angeboten werden. Eine solche prädiktive Testung soll nach Gendiagnostikgesetz immer im Rahmen einer humangenetischen Beratung erfolgen. (4)

Gentests ermöglichen in vielen Fällen den sicheren Nachweis oder Ausschluss der Mutation bei einer Risikoperson der betroffenen Familie. Anlageträger können früh erkannt werden und haben dann die Möglichkeit, spezielle, engmaschige Vorsorgemaßnahmen zu treffen. „Wir testen vor allem auch, um jene zu entlasten, die nicht Anlageträger sind. Es macht keinen Sinn, ein Kind ein ganzes Teenageralter lang zu Darmspiegelungen zu schicken, das gar nicht Anlageträger ist“, stellt Aretz klar. Bei den eher im Erwachsenenalter auftretenden Darmkrebsformen wie HNPCC werden prädiktive genetische Tests allerdings in der Regel erst durchgeführt, wenn der Patient mindestens 18 Jahre alt ist und einen Test wünscht. Genetische Beratungen und Testungen sind immer freiwillig. Patienten sollten sich vorher im Klaren sein, dass die Ergebnisse sowohl be- als auch entlastend sein können.

Auch bringen Gentests nicht in jedem Fall Klarheit. Denn bei einem Teil der erblich bedingten Darmkrebserkrankungen ist die genetische Grundlage noch nicht oder nur unzureichend erforscht. Lässt sich das familiäre Darmkrebsrisiko nicht durch Gentests abklären, wird die Diagnose anhand der Familiengeschichte und der speziell vorkommenden Krebserkrankungen (des sog.  „Tumorspektrums“) gestellt. Schätzungen zufolge wird deutschlandweit derzeit aber noch ein großer Teil erblichen Krebserkrankungen nicht erkannt, was bedeutet, dass viele Risikopersonen keine adäquate Vorsorge erhalten.

Risikopersonen können effektiv vorsorgen

Wer ein familiär bedingtes erhöhtes Darmkrebsrisiko hat und/ oder eine große Anzahl an genetischen Risikomarker vorliegen hat, sollte Vorsorgemaßnahmen treffen. Zentrales Element der Vorsorge ist die jährliche Darmspiegelung (Koloskopie). Sie ermöglicht Schleimhautwucherungen bereits früh zu erkennen und präventiv zu entfernen. Bei einigen Polyposisformen wie der klassischen FAP werden jährliche Koloskopien bereits ab dem 10.  bis 12. Lebensjahr, bei HNPCC ab dem 25. Lebensjahr empfohlen. (6,18) Die Chancen, durch frühzeitig eingeleitete Vorsorgeprogramme das Auftreten von bösartigen Tumoren zu verhindern, seien groß, sagt Aretz.

(cu/jk)

Fachliche Beratung:

Prof. Stefan Aretz, Oberarzt und Facharzt für Humangenetikam Zentrum für familiären Darmkrebs und Sprecher des Zentrums für erbliche Tumorerkrankungen des Universitätsklinikums Bonn

Quellen:

(1)Zentrum für Krebsregisterdaten am Robert Koch Institut (RKI): Darmkrebs (ICD-10 C18–21)  http://www.rki.de/Krebs/DE/Content/Krebsarten/Darmkrebs/darmkrebs_node.html (Stand: 13.12.2013)

(2) Deutsche Krebsgesellschaft: Familiärer Krebs – Wie viel liegt in den Genen? http://www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/basis-informationen-krebs/basis-informationen-krebs-allgemeine-informationen/genetisch-bedingter-krebs.html (Stand: 19.03.2018)

(3) Interview mit Prof. Stefan Aretz, Facharzt für Humangenetikund Oberarztam Zentrum für familiären Darmkrebs des Universitätsklinikums Bonn, Leiter der Arbeitsgruppe "Erblicher Darmkrebs", 14.01.15

(4 ) Informationsseiten des Verbundprojektes der Deutschen Krebshilfe "Familiärer Darmkrebs" http://www.hnpcc.de/ (Verantwortlich für den Inhalt: Prof. Dr. med PeterPopping)

(5) Scheinder C et al: Hereditäres nichtpolypöses kolorektales Karzinom und Lynchsyndrom. Coloproctology 2015. 37:291-303. DOI: 10.1007/s00053-015-0031.x.

(6) Rau T, et al. Hereditäres Dickdarmkarzinom. EIn Update zu genetik und Entitäten aus differenzialdiagnostischer Sicht. Pathologe 2017; 38:156-163. Springer Medizin Verlag. Mai 2017.

(7) Krebsinformationsdienst (KID) des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ): „Darmkrebs: Risikofaktoren und Vorbeugung“ http://www.krebsinformationsdienst.de/tumorarten/darmkrebs/risikofaktoren.php (Stand: 21.02.2018)

(8) S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom https://www.dgvs.de/wp-content/uploads/2017/12/LL_KRK_Langversion_2.0.pdf (Version 2.0 – November 2017)

(9) Deutsches Krebsforschungszentrum: Darmkrebs. Kombinierte Analyse verbessert Risikovorhersage. Pressemitteilung vom 27.02.2018.

 

Service:

Internetseiten des Verbundprojektes der Deutschen Krebshilfe "Familiärer Darmkrebs": www.hnpcc.de

Zentrum für erbliche Tumorerkrankungen Bonn: http://zseb.uni-bonn.de/zet

Qualifizierte genetische Beratungsstellen:

www.hnpcc.de/ansprechpartner.htm

www.krebshilfe.de/darmkrebszentren.html

www.gfhev.de/de/beratungsstellen/beratungsstellen.php

Letzte inhaltliche Aktualisierung am: 20.03.2018

Weitere Informationen zum Thema:

Zuletzt aufgerufen am: 18.04.2024 22:47