Die Dekade gegen den Krebs

 

Brennpunkt Onkologie vom 19.02.2019: Die Dekade gegen den Krebs: Programm - Ideen - Konzepte

 

 

Einleitung

Derzeit erkranken in Deutschland rund 500.000 Menschen neu an Krebs. Der rasante Wissenszuwachs über die Entstehung von Krebs hat die Möglichkeiten zur Krebsdiagnose und -therapie zwar enorm erweitert, dennoch sind Tumorerkrankungen bundesweit nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen die zweithäufigste Todesursache. Deutschland braucht deshalb neben dem Nationalen Krebsplan, der sich in erster Linie auf die Weiterentwicklung der Krebsversorgung konzentriert, eine langfristige Forschungsstrategie gegen Krebs. Bereits im Koalitionsvertrag kündigten die Regierungsparteien die Dekade gegen den Krebs an. Im Januar 2019 startet das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in Kooperation mit dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und einer Reihe von Akteurinnen und Akteuren das Programm für eine starke Krebsforschung.
Innerhalb der Dekade gegen den Krebs soll die Forschung in den Bereichen Prävention, Früherkennung, Diagnostik und innovative Therapien vorangetrieben und ausgebaut werden. Ziel ist es, Ergebnisse und Innovationen schnell zu den Patientinnen und Patienten zu bringen und die Erkenntnisse aus der Versorgung für die Forschung zu nutzen. Der Strategiekreis hat dafür verschiedene Handlungsfelder identifiziert. Unter anderem sind das:

  • die onkologische Spitzenforschung
  • die Präventionsforschung
  • die Wissen generierende Versorgung


Im Brennpunkt Onkologie am 19.02.2019 konzentrierten wir uns auf diese Handlungsfelder in der Dekade gegen den Krebs. Unsere Referentinnen und Referenten als wichtige Player der genannten Handlungsfelder boten Werkstattberichte aus ihrem Bereich: Was ist bereits geschehen? Wo soll die Reise hingehen? Gibt es schon konkrete Maßnahmenbündel und Ideen?

Mit der "Nationalen Dekade gegen Krebs" haben sich auf Initiative des BMBF viele Akteure zusammengeschlossen. Alle Informationen finden Sie auf der Webseite des Bündnisses.

Dr. Johannes Bruns: "Wir haben bereits heute einen Forschungsstau. Es ist keine Lösung, noch mehr Mittel ausschließlich in die Forschung zu pumpen."

Dr. Johannes Bruns beim Vortrag

Dr. Johannes Bruns, Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft, führte ins Thema der Veranstaltung ein. In seinem Vortrag "Von der Idee zur Versorgung ‐ Unsicherheit und Sicherheit von Innovationen auf dem Weg ins System" gab er zunächst einen historischen Überblick auf die Entstehung des Gesundheitssystems – von der ersten Krankenversicherung bis zum Gemeinsamen Bundesausschuss. "Wenn wir über Innovation reden, dann war und ist das spannend. Aber eine echte Innovation ist nur dann eine, wenn es zur Veränderung kommt. Nicht die Idee ist das Entscheidende, sondern die Veränderung in der Versorgung. Das ist letztlich auch das, was für uns in der Dekade gegen den Krebs wichtig ist. Wie reagiert das System heute auf Ansätze wie die individualisierte Medizin, die nicht im G-BA, sondern in Laboren entwickelt werden, also sehr forschungsnah sind? Wie reagiert das System auf ein neues Grundverständnis einer Krankheit?

Nehmen wir das Beispiel CAR-T-Zellen. Wenn wir über eine Therapie reden, bewegen wir uns im Kostenbereich zwischen 300 bis 400 Millionen Euro – das ist ein ganz gewaltiger Punkt. Das heutige System muss die Finanzierung in der Versorgung sicherstellen, und da ist der G-BA eine zentrale Einheit, eine Art Trutzburg, umgeben von vielen Kraftwerken, die Innovationen produzieren. Diese müssen den Weg durch die Trutzburg finden. Diesen Weg zu schaffen, die Trutzburg durchlässiger zu machen – nur das kann das Ziel der Dekade gegen den Krebs sein. Denn nur gemeinsam sind Forschung und Krankenversorgung in der Lage, die Situation von Patienten zu verändern.

Wir haben bereits heute einen Forschungsstau. Es ist keine Lösung, noch mehr Mittel ausschließlich in die Forschung zu pumpen. Die Frage ist eher, wie bauen wir die Brücke in ein sozialrechtlich relativ durchreguliertes System, und zwar eine Brücke auch für Unsicherheiten, auch für visionäre Anwendungen, die zunächst lediglich Potenzial haben. Und wie schaffen wir dann die notwendigen Sicherheiten? Es ist nicht im Sinne von Brustkrebspatientinnen, wenn seit 15 Jahren über die Kostenübernahme eines Biomarkertests pro/kontra Chemotherapie hin und her verhandelt wird. Das muss schneller gehen: Die Organisation der Versorgung am aktuellen Stand des medizinischen Wissens, das ist uns wichtig. Aber eben nach dem aktuellen Stand und nicht nach dem Stand von vor zwanzig Jahren. Und dafür brauchen wir Wege, Finanzierungslösungen, durchlässige Gremien, ohne das Scheunentor komplett zu öffnen, Qualitätsindikatoren, Rückfluss der Erkenntnisse ins System – egal, ob die Innovation aus dem Labor kommt oder eine Hypothese ist, die in der Versorgung generiert wird und in die Forschungsförderung gebracht werden muss. Dinge, die Potenzial haben, müssen weiter vorangebracht werden. Ich wünsche mir als Ergebnis der Dekade bis 2029, dass wir Wege dafür finden. Die Verantwortung dafür trägt das Gesundheitssystem als Ganzes."

Prof. Dr. Olaf Ortmann: "Unser Denkmodell der Wissen generierenden onkologischen Versorgung bezieht alle Komponenten ein, die wir auch in der Dekade gegen den Krebs berücksichtigen müssen."

Prof. Dr. Olaf Ortmann beim Vortrag

Der Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft Prof. Dr. Olaf Ortmann gehört zum Strategiekreis der Dekade gegen den Krebs und hat den Mitvorsitz in der Arbeitsgruppe "Wissen generieren durch Vernetzung von Forschung und Versorgung": "Die Dekade gegen Krebs hat eine Mission. Die Mission ist Innovation: Innovation in Krebsforschung und Implementierung in die Versorgung. Die Mission hat auch einen zweiten Teil: Wir gewinnen in der Versorgung Erkenntnisse. Dieser Erkenntnisgewinn ist wichtig, um Versorgung zu verbessern und modifizierend einzugreifen, das heißt, Innovation noch besser umzusetzen. Erkenntnisgewinn ist auch wichtig, um neu auftretende Fragen der Krebsforschung widerzuspiegeln. Das zu machen, ist die große Chance, die wir in den nächsten zehn Jahren haben. Das Hauptdefizit liegt weniger im Fehlen von Strukturen der Versorgung und Forschung, sondern in den Schnittstellen, bei der Vernetzung der unterschiedlichen Komponenten dieses Systems.

Wie es gehen kann, zeigt das Konsortium Familiärer Brust- und Eierstockkrebs, das es seit den 90er Jahren gibt. Es ist das derzeit beste implementierte Beispiel einer deutschlandweiten Vernetzung von Routineversorgung und Forschung: mit 17 universitären Zentren und einer Regionalisierung rund um diese Zentren. Denn es ist nicht ausreichend, einen hoch innovativen Test auf erblich bedingten Brust- und Eierstockkrebs durchzuführen. Es braucht die unmittelbare Verbindung mit der klinischen Versorgung. Und das ist die Stärke dieses Netzwerks, das hat es gezeigt. Die Routineversorgung wird qualitätsbasiert analysiert. Es gibt Verträge zu den Kosten, eine nationale Datenbank mit ca. 42.000 Familien und 22.000 DNA-Tests, Schulungen, die immer weiter in die Fläche getragen werden, Dokumentation. Die Erkenntnisse führten unter anderem dazu, dass inzwischen in der Routine nicht mehr allein BRCA1 und -2 getestet werden, sondern dass es ein Core-Genset von circa zehn Genen gibt. Daneben werden circa 20 weitere Gene aus Forschungszwecken analysiert.

Soweit zur Praxis, nun noch einige Worte zum Denkmodell: Im Konzept der Wissen generierenden onkologischen Versorgung hat die Deutsche Krebsgesellschaft in den letzten Jahren mit vielen Akteuren zusammen ein Konzept für die Vernetzung von Forschung und Versorgung erarbeitet. Es bezieht alle Komponenten ein, die wir auch in der Dekade gegen den Krebs einbeziehen müssen. Damit kann es gelingen, Innovation voranzubringen. Darunter verstehen wir nicht nur Spitzenforschung. Vor allem wollen wir, dass die Innovation ihren Weg in die Praxis findet, und aus der Praxis natürlich wieder Erkenntnisse gewonnen werden, wie wir mit Innovationen umgehen, welche sinnvoll sind und welche noch erdacht werden müssen."

Dr. Christa Maar: „Bisher gibt es in Deutschland kein Gesamtkonzept für Krebsprävention. Das wollen wir ändern.“

Dr. Christa Maar, Vorstand der Felix Burda Stiftung, gehört zum Strategiekreis der Dekade gegen den Krebs und hat zusammen mit Prof. Dr. Hermann Brenner (DKFZ Heidelberg) den Vorsitz in der Arbeitsgruppe Prävention. Sie sprach zum Thema "Die Rolle von Krebsprävention und -früherkennung in der Nationalen Dekade gegen Krebs": "Krebsprävention ist in Deutschland bisher vollkommen unterbewertet. Das gilt sowohl für die Forschung wie für die Versorgung der Bevölkerung.  Die Folge ist, dass neue Entwicklungen, die etwa zur Weiterentwicklung der Prävention und Früherkennung von Darmkrebs führen könnten, wenig oder gar nicht wahrgenommen werden und die Teilnahmeraten an den Screening-Maßnahmen zur Krebsfrüherkennung oft niedrig sind. Hinzu kommt, dass Präventionsforschung dort, wo sie stattfindet, kaum anwendungsorientiert ist, das heißt, sie kommt nicht bei denjenigen an, die davon einen Nutzen haben können.  

Es gibt in Deutschland kein Gesamtkonzept für Krebsprävention. Die Tatsache, dass sich laut einer Modellrechnung des DKFZ bis zu 40 Prozent der Krebsneuerkrankungen durch die Teilnahme an Vorsorgemaßnahmen verhindern ließen, findet sich im System nicht abgebildet. Das muss sich ändern. Die Dekade gegen den Krebs weist der Prävention eine zentrale Rolle zu. Wesentliches Ziel ist, so hat es das Bundesministerium für Bildung und Forschung formuliert, den Anteil früh erkennbarer, heilbarer Krebserkrankungen messbar zu erhöhen. Das gilt auch für die Zahl von Erkrankungen, die man durch Vorsorge oder präventive Maßnahmen vollständig verhindern kann. Die neue Rolle der Prävention soll durch langfristig angelegte Forschungs- und Umsetzungsstrategien ausgefüllt werden. Diese Vorgabe wollen wir in der Arbeitsgruppe Prävention umsetzen. Ziel ist es, unter Einbeziehung neuer Erkenntnisse, Entwicklungen und Technologien ein Präventions- und Früherkennungskonzept zu entwickeln, das zu einem Umdenken sowohl in der Forschung als auch in der Bevölkerung führt. Die Teilnahme an Vorsorge- und Früherkennungsmaßnahmen von Krebserkrankungen muss sehr viel selbstverständlicher werden, als sie es heute ist. Das soll durch innovative Modellprojekte unterstützt werden."

Prof. Dr. Michael Baumann: "Wir haben bislang nicht oft die Chance bekommen, über zehn Jahre ein solches Programm nach vorn zu bringen."

Prof. Michael Baumann

Prof. Dr. Michael Baumann, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg und Vorsitzender im Lenkungsausschuss des Deutschen Krebskonsortiums DKTK, ist Ko-Vorsitzender des Strategiekreises der Dekade gegen den Krebs und Ko-Vorsitzender der Arbeitsgruppe "Große ungelöste Fragen der Krebsforschung“. Er sprach zum Thema „Entwicklung der translationalen Krebsforschung in Deutschland": "In den nächsten Jahren erwarten wir einen beunruhigenden Anstieg der Zahl der weltweiten Krebsneuerkrankungen. Unser Gesundheitssystem ist darauf derzeit nicht vorbereitet. Wir werden natürlich die Therapien weiter verbessern. Damit werden wir aber die Zahl an Krebsneuerkrankungen nicht senken. Wenn wir weniger Krebs haben wollen, brauchen wir Forschung. Zum einen: Grundlagenwissen. Darauf aufbauend haben wir drei Möglichkeiten: Primärprävention, Früherkennung sowie bessere Diagnostik und Behandlungsmethoden. Es gibt Schätzungen, dass ungefähr 70 Prozent aller Krebstodesfälle durch die ersten beiden Punkte vermieden werden könnten. Bei den Behandlungsmethoden haben wir die Herausforderung, dass jeder Tumor so individuell ist wie der Mensch, der erkrankt ist. Und letztlich – mein Punkt 5 – muss das alles ins Gesundheitssystem implementiert und auch getestet werden.

Das sind die Aufgaben, die wir in den nächsten Jahren in der Krebsforschung haben. So viele Punkte sind es nicht. Und wir müssen dafür sorgen, dass alle diese Punkte austariert und nach vorn gebracht werden, und brauchen dafür effiziente Mechanismen der Translationsforschung und eine stärkere Partizipation der Patienten bei Forschungsfragen. Die ideale Versorgungsstruktur haben wir bereits etabliert, hier wurde Großes geleistet: Zentren, die ihr Umfeld als Netzwerk einbeziehen. Hier sind wir dank des Nationalen Zertifizierungsprogramms deutlich vorangekommen in der Versorgung. In der Forschung leider noch nicht, aber die vorhandenen Strukturen erlauben es, in der Dekade auf Basis dieser Strukturen auch eine sehr gute Krebsforschung weiter aufzubauen.

Von großer Wichtigkeit in der Dekade ist nicht zuletzt das Zusammenbringen der unterschiedlichen Akteure. Die Voraussetzungen dafür sind optimal: die Dekade ist ein ressortübergreifendes und sektorenübergreifendes und interessenübergreifendes Programm. Wir haben bislang nicht oft in Deutschland die Chance bekommen, über zehn Jahre ein solches spezifisches Programm nach vorn zu bringen. Jetzt haben wir die Chance, und wir alle müssen sie nutzen.

Einen Punkt möchte ich aber noch nennen: Was wir noch zu wenig haben, sind Zentren der Spitzenforschung nach amerikanischem Qualitätsvorbild. Das Stichwort dafür ist ein Ausbau von NCT-Standorten, wo Spitzenforschung auf bestehende Comprehensive Cancer Center aufgebracht werden kann. Das brauchen wir, um in der föderalen Struktur Deutschlands Orte zu haben, wo die kritische Masse an Forschung dann tatsächlich vorhanden ist, um innovative Projekte auch im Bereich der Grundlagenforschung in erstmalige klinische Anwendung zu bringen."

Referent*innen

  • Prof. Dr. Michael Baumann, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg und Vorsitz im Lenkungsausschuss des Deutschen Krebskonsortiums (DKTK)
  • Dr. Johannes Bruns, Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft, Berlin
  • Dr. Christa Maar, Vorstand der Felix Burda Stiftung, München
  • Prof. Dr. Olaf Ortmann, Direktor der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Lehrstuhl der Universität Regensburg, Caritas-Krankenhaus St. Josef, Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft
  • Moderation: Lisa Braun (Presseagentur Gesundheit)

Fotos: Renate Babnik/DKG