Den G-BA neu denken?

 

Brennpunkt Onkologie vom 16.10.2013:
Den G-BA neu denken. Gestaltungsspielraum für die neue Legislaturperiode 

2004 wurde der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in seiner heutigen Form ins Leben gerufen. Legitimiert durch den Gesetzesauftrag des Parlaments, bestimmt er in Form von Richtlinien den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung für etwa 70 Millionen Versicherte. Aus Sicht etablierter Fachgesellschaften wie der Deutschen Krebsgesellschaft fehlt dabei allerdings ein ganzheitlicher Ansatz zur Lösung von Versorgungsproblemen – so das Fazit der gesundheitspolitischen Veranstaltung Brennpunkt Onkologie der DKG vom 16. Oktober 2013 in Berlin.

Gefragt: Der Gesamtblick auf die Versorgung

Franz Knieps

Der G-BA wird von den vier großen Spitzenorganisationen der Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen gebildet: der Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem GKV-Spitzenverband. Mit der Gründung des G-BA sollte ein Gremium geschaffen werden, das in der Lage ist, Konflikte zwischen Leistungserbringern und Kassen zu lösen – laut Franz Knieps, Vorstand des BKK-Dachverbands, eine durchaus wichtige und sinnvolle Einrichtung: „Früher debattierten Krankenkassen allenfalls über die Summe der Ausgaben, ganz selten darüber, wofür das Geld denn eingesetzt werden sollte. Mittlerweile haben wir ein Gesundheitssystem, das zwischen staatlichem Gesundheitsdienst und marktlichem Wettbewerb justiert ist; deshalb bedarf es eines Feinschliffs der Regulierung, der durch Gesetze alleine nicht leistbar ist. Für diese Aufgabe brauchen wir den G-BA. Dennoch muss man fragen, ob die Prozesse, nach denen dort bewertet und entschieden wird, nicht optimierbar sind.“

Zu wenig konzeptuelle Ansätze, stattdessen Verwaltungsregulierung ‒ so fällt das Fazit vieler Kritiker über den G-BA aus. Zwar lägen inzwischen erste positive Erfahrungen mit dem Nationalen Krebsplan vor, dennoch fehle es insgesamt an Versorgungsstrategien für die großen Volkskrankheiten. Positive Erkenntnisse aus der Vielzahl existierender Selektivverträge fänden kaum Eingang in die Regelversorgung. Auch beim Thema der Nutzenbewertung von Arzneimitteln bestehe Diskussionsbedarf. „Die Mehrzahl der Patienten mit einer chronischen Erkrankung leiden unter einem komplexen gesundheitlichen Problem, das eine komplexe Behandlung erfordert. Eine isolierte Bewertung von Therapiemaßnahmen hilft da wenig. Stattdessen ist eine konzeptionelle Herangehensweise gefragt, bei der ein Gremium die vorrangigen Versorgungsprobleme identifiziert und gezielt angeht“, sagte Dr. Johannes Bruns, Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft beim Brennpunkt Onkologie am 16. Oktober 2013.

Kritisch: Die Lücke zwischen G-BA-Standards und Versorgungsrealität

Gerhard Nitz

Dabei geht es aber nicht nur um die Konkretisierung von Standards, sondern auch um die Frage, wer dazu legitimiert ist und nach welchen Kriterien entschieden wird. Zwar hat sich die evidenzbasierte Medizin als rationale Grundlage für Versorgungsentscheidungen mittlerweile durchgesetzt. Gerhard Nitz, als Jurist spezialisiert auf das Arzneimittel- und Medizinprodukterecht, bemängelte aber, dass Evidenzen, die nicht mit dem höchsten Evidenzlevel 1 in randomisierten klinischen Studien belegt seien, nach der Verfahrensordnung des G-BA weitgehend unberücksichtigt blieben. Professor Michael-Jürgen Polonius, Arzt und ehemaliger G-BA-Vorsitzender argumentierte in die gleiche Richtung. Die Teilnehmer klinischer Studien würden nach engen Kriterien ausgesucht; sie entsprächen nicht notwendigerweise der Patientenpopulation, die Ärzte in ihrer alltäglichen Arbeit behandeln. Das heißt, Standards, die auf der Basis einer sehr guten Studienlage festgelegt wurden, lassen sich möglicherweise schwer in der Versorgungsrealität umsetzen. Auch bei der frühen Nutzenbewertung von Arzneimitteln durch den G-BA gibt es Klärungsbedarf. „Nicht selten wird für diese Bewertung eine andere Vergleichstherapie als in der Zulassungsstudie herangezogen“, erklärte Professor Bernhard Wörmann, medizinischer Leiter der DGHO Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie. „In solchen Fällen besteht dann fast gar keine Möglichkeit, einen Zusatznutzen zu zeigen. Darüber hinaus entspricht mehr als die Hälfte dieser nachträglich gewählten Vergleichstherapien nicht den aktuellen Therapieleitlinien.“ Gerade diese Therapieleitlinien – Behandlungsprinzipien, zusammengetragen durch ein großes Kollektiv an Experten, die zu einem Konsens kommen – bieten eine gute Orientierung für die behandelnden Ärzte, auch in Fällen, in denen die verfügbaren wissenschaftlichen Belege nicht den höchsten Evidenzgrad erreichen.

Denkbar: Antragsrechte für Fachgesellschaften

Dr. Johannes Bruns

Angesichts dieser Kritik plädieren Experten schon seit längerem für eine stärkere Einbeziehung medizinischer Fachgesellschaften, zum Beispiel durch eine Erweiterung des geltenden Antragsrechts bei der Einleitung von Bewertungsverfahren durch den G-BA. Denn derzeit können solche Anträge nur von den Krankenkassen, der KBV oder der Deutschen Krankenhausgesellschaft gestellt werden. Eine Erweiterung der Antragsrechte, z. B. durch die Einführung sachverständiger Organisationen, ließe sich mit geringem Aufwand bewerkstelligen, so DKG-Generalsekretär Bruns. Sein Ziel: „Mit der Erfahrung derer, die tagtäglich in der Patientenversorgung arbeiten, könnten wir den Anstoß für eine ganzheitliche Betrachtung von Versorgungsproblemen geben, die auch vor der Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung nicht haltmacht. Ich würde mir außerdem wünschen, dass die Art, wie in der Versorgung über Leitlinien nachgedacht wird, auch ein Prinzip des G-BA wird."