Zweitmeinungsverfahren

 

Brennpunkt Onkologie am 28.11.2017: Zweitmeinungsverfahren – Nutzung, Nutzen und Grenzen

Einige gesetzliche Krankenkassen bieten schon seit längerem Zweitmeinungsverfahren an, der Rechtsanspruch hierauf wurde jedoch erst mit dem Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) im Jahr 2015 in das SGB V eingeführt. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat nun im September 2017 begonnen zu konkretisieren, für welche planbaren Eingriffe der Anspruch auf eine Zweitmeinung besteht. Darüber hinaus hat die Richtlinie des G-BA die Anforderungen an die Abgabe der Zweitmeinung sowie an die Erbringer einer Zweitmeinung festgelegt.

Beim Brennpunkt Onkologie "Zweitmeinungsverfahren – Nutzung, Nutzen und Grenzen" am 28.11.2017 haben wir das Thema Zweitmeinungsverfahren im onkologischen Kontext betrachtet. Sind Zweitmeinungen sinnvoll, notwendig oder gar alternativlos in der Onkologie? Bei welchen Indikationen oder Entitäten gibt es Erfahrungen? Wie ist die Sicht von Patientinnen und Patienten auf Zweitmeinungsverfahren in der Onkologie? Welche Position nimmt die Deutsche Krebsgesellschaft ein? Darüber sprachen wir mit Experten verschiedener Bereiche und dem Publikum.

Prof. Dr. Peter Albers: "Wir brauchen in der Onkologie eine qualifizierte, also multidisziplinär generierte Erstmeinung."

Prof. Dr. Peter Albers

In seinem Vortrag "Sind Zweitmeinungen sinnvoll, notwendig oder gar alternativlos in der Onkologie?" nahm Prof. Dr. Peter Albers, Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft, zunächst Bezug auf den Rechtsanspruch auf Zweitmeinung: "In der Onkologie geht es nicht darum, Eingriffszahlen zu reduzieren oder Indikationsausweitungen kontrollieren zu lassen. Zweitmeinung hat für Krebspatienten einen ganz anderen Zweck. Der Wunsch nach Zweitmeinung, und das ist durch viele Publikationen bewiesen, generiert sich zum Teil aus dem Misstrauen des Patienten gegenüber dem Arzt – ist das eigentlich richtig, was der Arzt über meine Diagnose und die Operation als einzig mögliche Therapie sagt? Des Weiteren generiert sich der Zweitmeinungswunsch aus Angst. Etwa ein Drittel aller Krebspatienten möchten eine Zweitmeinung haben, um sich abzusichern. Schwierig wird es, wenn sich Erst- und Zweitmeinung unterscheiden. Auch wenn sich die Meinungen decken: Es gibt keine Daten darüber, ob ein Krebspatient mit einer Doppelberatung zu Beginn der Therapie tatsächlich ein besseres Outcome hat.

Wie begegnet man dem Grundmisstrauen und der Angst des Patienten? Mit einer qualifizierten Erstmeinung. Wir müssen es schaffen, dass Primärbefunde multidisziplinär besprochen werden. Das Ergebnis muss fundiert sein und dem Patienten die Unsicherheit und die Angst nehmen, einer Einzelmeinung ausgeliefert oder sogar mit mehreren verschiedenen ärztlichen Meinungen konfrontiert zu sein. Wir haben für eine qualifizierte Erstmeinung sogar schon flächendeckende Strukturen in Deutschland: Aus unserer Sicht ist das die primäre Aufgabe der Zentren mit ihren multidisziplinären Tumorboards. Meine Forderung auch an unsere eigene Institution wäre, dass wir versuchen, die Onkologischen Spitzenzentren und die Onkologischen Zentren dazu zu bringen, für jeden Patienten, auch wenn er nicht unbedingt dort behandelt wird, im Tumorboard eine qualifizierte Erstmeinung zu geben, und zwar unter Einbindung des Patienten. Damit hätten wir bereits viele Probleme von Krebspatienten gelöst. Ich persönlich sehe gerade für die Onkologie die Zweitmeinungsverfahren, die von Krankenkassen oder privaten Institutionen angeboten werden, sehr kritisch. Sie suggerieren eine Sicherheit, die nicht da ist. Ich kenne keinen Beweis, dass diese Zweitmeinung wirklich besser ist als eine vernünftige, multidisziplinär generierte qualifizierte Erstmeinung."

Dr. Axel Meeßen: "Der MDK ist ein institutioneller Zweitmeiner."

Dr. Axel Meeßen

Dr. Axel Meeßen, Geschäftsführer des MDK Berlin-Brandenburg, begann seinen Vortrag zum Thema "Zweitmeinung als gesetzlich verankerter Anspruch – aktueller Stand und Rolle des MDK" aus der Sicht eines Patienten: "Die Erstmeinung ist da. Reicht sie mir als Patient oder nicht? Sie reicht mir nicht, wenn es zunächst schon am kognitiven Verstehen hapert, an der Sprache: Fremdsprachigkeit, Fachsprachigkeit, oder der Arzt wählt einfach nur die falschen Worte. Die Erstmeinung reicht mir ebenfalls nicht, wenn ich die Diagnose emotional nicht verstanden habe, wenn mir die Bedeutung noch nicht klargeworden ist, was die Diagnose bedeutet und was sie für Auswirkungen haben kann. Mir reicht als Patient die Erstmeinung ebenso wenig, solange ich mich frage: Ist die Therapieempfehlung wirklich medizinisch fundiert oder ist sie ökonomisch getriggert, und es stecken finanzielle Interessen des Krankenhausträgers, der Praxisgemeinschaft, des Klinikums dahinter? Also Stichwort institutionelles Vertrauen. Das ist nicht so abwegig, wie es zunächst klingt: Im gesetzlich verankerten Anspruch auf Zweitmeinung seitens des Gesetzgebers geht es ebenso um institutionelles Vertrauen bzw. Misstrauen. Und nicht zuletzt: Als Patient möchte ich einbezogen werden, ich möchte gesehen werden mit meinen Wünschen, Ängsten, Hoffnungen, Präferenzen – gerade, aber nicht nur, bei onkologischen Therapien. Werde ich nicht einbezogen und herrscht ein Mangel an Shared Decision Making, löst das bei mir ebenfalls den Zweitmeinungswunsch aus.

Der MDK ist ein institutioneller Zweitmeiner. Der Auftraggeber ist allerdings nicht der Patient, sondern die gesetzlichen Krankenkassen. Wir prüfen – oft werden wir vor der Leistungserbringung gefragt –, ob ein Leistungsversprechen wie Reha, Off-Label-Use von Arzneimitteln, bestimmte Hilfsmittel und etwas anderes in einem konkreten Fall sinnvoll ist oder nicht. Dafür braucht es Sachverstand, sei es pflegerischen Sachverstand, sei es medizinisch-ärztlichen Sachverstand. Dieser Sachverstand ist als MDK institutionell ausgegliedert, und zwar als eigenständige Organisationen für unabhängige Gutachten, Rat und sachgerechte Leistungsentscheidungen. Unsere Aufgabe ist dabei das Abwägen verschiedener Perspektiven: des Arztes, der eine Indikation stellt, des Leistungserbringers und der Krankenkassen, die die Leistungen bezahlen. Dabei steht der Versicherte und Patient im Fokus: Worauf kommt es an? Sicherlich auch auf Grundprinzipien wie Qualität, Humanität und Wirtschaftlichkeit, zum Beispiel bei der Frage nach Off-Label-Use. Deshalb ist unsere Antwort oft nicht einfach Ja oder Nein, sondern wir empfehlen einen ganz anderen Therapieweg, andere Hilfsmittel oder andere Medikamente, als angefragt sind. Unabhängig vom Preis, wenn die Notwendigkeit eindeutig ist."

PD Dr. Kerstin Rhiem: "Unser Zweitmeinungskonzept vor prophylaktischer Mastektomie hilft Frauen und ihren Ärzten gleichermaßen."

PD Dr. Kerstin Rhiem

PD Dr. Kerstin Rhiem, leitende Oberärztin und stellvertretende Direktorin des Zentrums Familiärer Brust- und Eierstockkrebs am Universitätsklinikum Köln, stellte in ihrem Vortrag "Wie wichtig ist ein Zweitmeinungskonzept vor prophylaktischer Mastektomie?" ein in der Klinik etabliertes und funktionierendes onkologisches Zweitmeinungskonzept vor. "Unserer Meinung nach ist eine Zweitmeinung vor prophylaktischer Mastektomie ein wichtiges Angebot im Entscheidungsfindungsprozess der betroffenen Frauen. Wir haben im Rahmen eines Benchmarkprojekts zunächst den Bedarf eruiert und festgestellt, dass ca. 30 Prozent der Brustkrebspatientinnen eine erbliche Belastung für Brust- und Eierstockkrebs haben. Rechnet man jene Frauen dazu, die noch nicht erkrankt, aber erblich belastet sind, ist das ist eine enorme Zahl, die den Wunsch nach Entfernung gesunder Organe mit ihren Ärzten diskutiert. Schon deshalb war es wichtig, ein Zweitmeinungsmodell zu etablieren, das sowohl Brustkrebspatientinnen, gesunde Mutationsträgerinnen als auch deren Ärzte dabei unterstützen soll, die individuellen absoluten Erkrankungsrisiken in überschaubaren Zeiträumen zu erfahren, konkurrierende Risiken, beispielsweise die Prognose einer Krebserkrankung, gegenüber einem Neuerkrankungsrisiko abzuwägen und alternative Optionen zu erfahren und zu diskutieren.

Die Medienpräsenz - Stichwort Angelina-Jolie-Effekt - sowie neue wissenschaftliche Forschungsansätze und technische Neuerungen, wie Next Generation Sequencing, führen zu einer gesteigerten Nachfrage an präventiven Maßnahmen, inklusive invasiver Strategien, wie der prophylaktischen Entfernung von gesundem Brustgewebe. Dies belegen eindrucksvoll Daten aus dem kalifornischen Krebsregister von über 180.000 Brustkrebspatientinnen. Es wurde gezeigt, dass ein solcher Eingriff nicht den gewünschten Effekt einer reduzierten Mortalität erbracht hat. Für Frauen mit einem erblich bedingt erhöhten Erkrankungsrisiko, beispielsweise bei Mutation in den Genen BRCA1 und BRCA2, kann die Entfernung des gesunden Brustgewebes eine Risikoreduktion bedeuten. Die Kalkulation der individuellen Erkrankungsrisiken als Grundlage für eine Diskussion des Themas ist hoch anspruchsvoll. Die beiden altbekannten Hochrisikogene BRCA1 und BRCA2 sind für ca. 25 Prozent der familiär belasteten Erkrankungsfälle verantwortlich. Die Identifikation multipler modifizierender Faktoren, die die Risiken zum Teil erheblich variieren können, hat bereits die immense Komplexität einer Risikobestimmung deutlich gemacht. Sie wird weiter verkompliziert durch Ergebnisse aus sogenannten Panel-Genanalysen die eine Vielzahl von Risikogenen untersuchen, die im Rahmen oligogener Erbgänge miteinander interagieren und multiplikativ wirken können. Zudem ist die Einordnung genetischer Varianten der neuen Risikogene anspruchvoll - Stichwort Varianten-unklarer Signifikant, VUS - anspruchsvoll, und Daten, wie altersabhängige Erkrankungsrisiken oder Tumorphänotyp, sind noch nahezu unbekannt.

Angesichts dieser herausfordernden Situation haben wir ein transsektorales Zweitmeinungskonzept zur Vermeidung von Überprävention, also eine nicht indizierte prophylaktische Mastektomie, für Frauen mit einer erblichen Belastung etabliert. Es reicht vom aktuellen Stand der Gentestung über die Interpretation unklarer genetischer Befunde im Expertengremium des Deutschen Konsortiums Familiärer Brust- und Eierstockkrebs, inklusive Recall-System bei VUS, bis zur Festlegung möglicher klinischer Konsequenzen im zentralen Gendiagnostikboard unter Berücksichtigung der nationalen Empfehlungen. Im Rahmen von Curricula erhalten Ärztinnen und Ärzte kooperierender zertifizierter Organkrebszentren das Angebot, sich speziell zu den genannten komplexen genetischen Zusammenhängen zu qualifizieren und damit die Versorgung der Betroffenen durch Kooperation mit den spezialisierten Konsortialzentren zu optimieren. Jede Ratsuchende und jeder Arzt soll Erkrankungsrisiken, eventuell konkurrierende Risiken, Nutzen und Schaden der präventiven Maßnahmen, deren Risiken und Nebenwirkungen sowie mögliche Alternativen kennen und in den eigenen Lebenskontext stellen, damit die Betroffenen eine langfristig tragfähige Entscheidung treffen können."

Prof. Dr. Karl-Friedrich Bürrig: "Die Zweitbeurteilung in der Pathologie ist etwas, was gut etabliert ist und auf eigener Verantwortung beruht."

Prof. Dr. Karl-Friedrich Bürrig

Prof. Dr. Karl-Friedrich Bürrig, Geschäftsführer und ärztlicher Leiter des Instituts für Pathologie Hildesheim-Goslar, sprach zum Thema "Welche Rolle spielt die Zweitmeinung bei Entscheidungen in der Pathologie?": '"Sie spielt eine große Rolle, aber sie spielt sicherlich eine andere Rolle, als man sich vorstellt. Es gibt in der Bundesrepublik keine hierarchische Gliederung der Pathologie, es gibt keine zugewiesenen Referenzzentren, es fehlen Regularien, zum Beispiel zur Dokumentation. Die Zweitbeurteilung ist trotzdem etwas, was eine lange und große Tradition in der Pathologie hat. Wir nutzen Expertenwissen zur Findung der richtigen Diagnose. Gute Beispiele dafür sind das niedrigmaligne Non-Hodgkin-Lymphom, Speicheldrüsentumore, Weichteilsarkome, alles eher seltene Entitäten. Und zum Teil gibt es auch Register wie zum Beispiel für Kindertumore in Kiel oder für Knochentumore in Basel. Die Schwierigkeit von Registern liegt immer darin, dass das in der Regel an eine Person gebundenes Expertenwissen ist. Und immer dann, wenn diese Person ausscheidet, aus Altersgründen oder aus anderen Gründen, wird das Register nicht fortgesetzt.

Die Deutsche Gesellschaft für Pathologie und der Bundesverband Deutscher Pathologen haben für ihre Mitglieder eine Empfehlung zur Zweitmeinung herausgegeben. Sie orientiert sich daran, ob der Patient die Zweitbeurteilung wünscht, der Einsender die Zweitbeurteilung wünscht oder der Befunder selbst fachlichen Rat sucht, sei das nun im eigenen Institut oder extern. Die interne Zweitmeinung - das Vier-Augen-Prinzip oder das interne Konsil - ist die wichtigste Form der Zweitbeurteilung und wird am Diskussionsmikroskop durchgeführt. Immer dann, wenn man als Pathologe diagnostische Unschärfe empfindet und keine Entscheidung herbeigeführt werden kann, wird man den externen Rat suchen. Dieses interne Konsil unter den Ärzten einer Institution erfolgt täglich viele Male, es ist der Goldstandard. Das externe Konsil ist selten. Die Zweitbeurteilung – und das ist nicht nur meine persönliche Erfahrung – wird so gut wie nie von den Einsendern, also Klinikern, gefordert und spielt auch bei Patienten eine ganz untergeordnete Rolle.

Insgesamt ist die Zweitbeurteilung in der Pathologie etwas, was gut etabliert ist. Sie folgt einer Kultur, die auf eigener Verantwortung beruht. Es geht um transparentes Verhalten im eigenen Institut und nach außen. Es gehört ein offener Umgang mit Fehlern dazu, im eigenen Institut und nach außen. Und es gehört dazu, dass man eine Kultur des Zweifelns entwickelt. Und immer, wenn man Zweifel hat, auch nach vielen Jahren in der Diagnostik, dann erkennt man schon, wann man die Grenzen seiner eigenen Kompetenz oder die Grenzen des Wissens in einem Institut erreicht hat und darum einen Externen mit zu Rate ziehen muss."

Dr. Udo Beckenbauer: "Wir erstellen die Zweitmeinung nicht selbst, sondern vermitteln Kompetenzen."

Dr. Udo Beckenbauer

Dr. Udo Beckenbauer von der HMO-AG München stellte in seinem Vortrag das HMO-Modell der bezahlten Zweitmeinung vor. "Wir haben eine wunderbare Medizin in Deutschland, und täglich kommen neue diagnostische und therapeutische Möglichkeiten dazu. Nur weiß der Patient leider nicht, was es alles gibt, und viele Ärzte wissen es leider auch nicht. Und daher bin ich der Meinung, dass eine Zweitmeinung unbedingt wichtig ist für eine optimale Versorgung auf dem Wege zu einer kompetenten Erstmeinung.
Das bieten wir an: Wir erstellen die Zweitmeinung nicht selbst, sondern vermitteln Kompetenz von der einen zur anderen Seite. Konkret funktioniert das so: Der Patient tritt nach der Diagnose an uns heran, über seine Krankenkasse, Internet oder den Hausarzt. Wir haben eine eigene digitale Patientenakte, also eine Plattform, einen Case Manager. Der Patient bespricht alle möglichen Fragen mit dem Case Manager, der die relevanten Befunde, auch Bilder, hinterlegt. Die Daten werden zusammen mit Informationen aus dem Call Center/vom Case Manger in speziellen Masken erfasst und digitalisiert. Die Masken sind so angelegt, wie Tumorboards sie brauchen. Über die Plattform werden die gesammelten Informationen dann von Zentren oder universitären Boards eingesehen. Innerhalb einer Woche erhält der Patient, egal wo er wohnt, dann eine Zweitmeinung und kann sie mit seinem behandelnden Arzt besprechen. Diese Leistung kostet 379 Euro. Keine Frage, dass das für Patienten viel Geld ist. Ich meine, dass die Krankenkasse der richtige Kostenträger dafür ist. Wir haben derzeit 28 Krankenkassen unter Vertrag, und die zahlen die Leistung. Wir arbeiten momentan mit 37 Krebszentren zusammen, alles zertifizierte Zentren oder universitäre Boards, und haben bislang mehr als 3.000 Zweitmeinungen erstellen lassen."

Podiumsdiskussion

Diskussionsteilnehmer auf dem Podium

An der abschließenden Podiumsdiskussion nahm neben den Referenten auch Hedy Kerek‐Bodden, Frauenselbsthilfe nach Krebs - Bundesvorstand, Bonn, teil. Auch aus dem persönlichen Betroffensein hat für sie die Zweitmeinung eine große Bedeutung. "Ich setze mich ganz extrem für das Recht oder die Möglichkeit einer Zweitmeinung ein und bin sehr froh, dass das jetzt auch ein Rechtsanspruch ist. Sowohl für die qualifizierte Erstmeinung als auch für die Zweitmeinung ist mir wichtig, dass der Patient gesehen wir, dass nicht nur Papiere hin und her geschickt werden. Der Patient muss selbst anwesend sein, wenn über seinen Befund gesprochen wird. Optimal wäre, wenn die Patienten dann sogar ein Dokument über das Gespräch bekämen: in welchem Krankheitsstadium hat das Gespräch stattgefunden, wie ist die Erwartungshaltung des Patienten und seine Präferenzen, und welche Behandlung wird empfohlen? Dann können Patienten in Ruhe zu Hause darüber nachdenken."

Einigkeit herrschte unter den Diskussionsteilnehmern, dass die Patienten mit einer gestellten Diagnose als erstes in ein multidisziplinäres Team kommen sollten, wo gemeinsam eine Therapieempfehlung, also eine qualifizierte Erstmeinung, generiert werde. Mit Hilfe der über 1.300 zertifizierten Zentren mit ihren multidisziplinären Tumorboards ließe sich diesem Ziel näherkommen. Hier sei auch die Politik gefragt, mit entsprechenden finanziellen Ressourcen dafür Sorge zu tragen, dass flächendeckend vorhandenen Strukturen, wie die Zentren, besser genutzt werden. Das Instrument der Zweitmeinung müsse trotzdem gegeben sein.

Die Schwierigkeit bestünde derzeit darin, so die Diskussionsteilnehmer, dass Patienten nicht in ausreichendem Maß über die zertifizierten Zentren und über das Zweitmeinungsrecht informiert seien. Hier sehe man den behandelnden Arzt, der die Diagnose eröffnet, in der Informations- und Beratungspflicht, und zwar unabhängig von Partikularinteressen.

Referenten

Prof. Dr. Peter Albers (Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft, Berlin); Dr. Udo Beckenbauer (CPM – internistische Praxisgemeinschaft, München); Dr. Johannes Bruns (DKG-Generalsekretär, Berlin); Prof. Dr. Karl-Friedrich Bürrig (Geschäftsführer und ärztlicher Leiter des Instituts für Pathologie, Hildesheim-Goslar); Hedy Kerek‐Bodden (Frauenselbsthilfe nach Krebs - Bundesvorstand, Bonn); Dr. Axel Meeßen (Geschäftsführer MDK Berlin-Brandenburg); PD Dr. Kerstin Rhiem (leitende Oberärztin und stellvertretende Direktorin des Zentrums Familiärer Brust- und Eierstockkrebs am Universitätsklinikum Köln)

Moderation: Lisa Braun

Fotos: Renate Babnik/DKG