Evidenzbasierte Medizin - ohne Basis?

 

Brennpunkt Onkologie vom 02.12.2015: Evidenzbasierte Medizin - ohne Basis?

Die Politik, das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, der Gemeinsame Bundesausschuss, die Arzneimittelkommission, das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte, die Leitlinienkommissionen: Regelmäßig rufen verschiedene Akteure im Gesundheitswesen nach einer besseren und höheren Evidenz als Basis für die Zulassung, für die (frühe) Nutzenbewertung oder für die Leitlinienerstellung und damit letztlich für die Therapieentscheidung. Kontrollierte, randomisierte und doppelblinde klinische Studien werden nach Meinung der genannten Akteure zu selten durchgeführt oder haben häufig Probleme, Probanden zu rekrutieren.

Gerade in der Onkologie befinden sich Patienten in einer existenziellen Lebenskrise. Parallel zur Krebsdiagnose werden sie dann aber mit dem Ansinnen konfrontiert, die Therapieentscheidung dem Zufall (Randomisation) zu überlassen. Damit sind sie häufig überfordert. Darüber hinaus haben klinische Studien in der öffentlichen Wahrnehmung ein schwieriges Image – das ist historisch begründet und zugleich von einer häufig skandalisierenden Berichterstattung in der Gegenwart geprägt.

Im Brennpunkt Onkologie „Evidenzbasierte Medizin – ohne Basis?“ am 2. Dezember 2015 haben wir beleuchtet, warum die Forderung nach hochwertigen Studien zentral ist, welche konkreten Probleme es bei der Durchführung gibt, warum Patienten an einer Studie teilnehmen wollen oder warum sie das ablehnen. Die öffentliche Darstellung der evidenzbasierten Medizin hat ebenso eine Rolle gespielt wie Betrachtungen rund um klinische Studien. Gemeinsam haben wir überlegt und diskutiert, wie eine ausgewogenere Darstellung und damit hoffentlich auch eine nachhaltigere Studienkultur erreicht werden können.

Straßenumfrage: „Wären Sie bereit, an einer klinischen Studie teilzunehmen? Was versprechen Sie sich davon?“

Im Zusammenhang mit dem Brennpunktthema haben wir Passanten auf der Straße nach ihrer Meinung über klinische Studien befragt. (Video: Christian Berlinghof, Thomas Hegemann; 14 min)

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Prof. Dr. Jürgen Windeler: „Jeder kann wissen, dass randomisierte Studien am besten, am sichersten, am einfachsten und am überzeugendsten in der Lage sind, einen validen Vergleich zu liefern.“

Prof. Dr. Jürgen Windeler
Quelle: ro-b.com/Photography

Prof. Dr. Jürgen Windeler, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Köln, eröffnete die Veranstaltung mit dem Vortrag „Die randomisierte kontrollierte Studie (RCT) als wichtigstes Instrument evidenzbasierter Medizin?“ Die wichtigste Voraussetzung von Studien, die eine Aussage zum Nutzen machen sollen, sei der Vergleich, und zwar der faire, der valide Vergleich, so Prof. Windeler. Studien müssten so gemacht werden, dass sie diesen validen Vergleich liefern. „Jeder kann wissen, dass randomisierte Studien am besten, am sichersten, am einfachsten und am überzeugendsten in der Lage sind, einen validen Vergleich zu erstellen. Das ist kein Wissen von gestern, sondern eins von ungefähr 200 Jahren.“ Deshalb habe man RCTs für Nutzenfragen zum methodischen Standard erklärt. Das bedeute nicht, dass man ausschließlich RCTs machen müsse; solange ein valider Vergleich gewährleistet sei, könne es Methodenpluralismus geben: „Da kann man sich retrospektive Studien oder Register ansehen und Versorgungsforschung betreiben – solange jemand mir, dem Institut und der wissenschaftlichen Community darlegt, dass diese Vergleiche, die dort angestellt werden, valide Vergleiche sind.“ Für andere Fragen als die zum Nutzen seien ohnehin andere Designs sinnvoll.

Über die Forderung des IQWiG nach randomisierten Studien – so Prof. Windeler – würden sich viele beschweren: Anderes müsse es auch geben. „Für eine solche Aussage hätte ich viel mehr Sympathie, wenn diejenigen tatsächlich ganz viel anderes vorlegen würden, viele aussagekräftige Non-RCTs“, so Prof. Windeler. „Das passiert aber nicht, sondern es wird gar nichts gemacht. Deutschland kann in diesem Zusammenhang als Entwicklungsland in klinischer Forschung betrachtet werden. Das ist nicht primär ein finanzielles Problem, auch wenn Finanzierungsprogramme im Vergleich zum Beispiel zur Grundlagenforschung eher Peanuts sind. Sicher spielen auch die Ärzte und die Patienten und die Politik eine Rolle. Meiner Meinung nach fehlt es aber zuerst an den konkreten Fragestellungen. Und es fehlt am Pragmatismus: Die Anglo-Amerikaner, die Skandinavier, die Holländer haben eine anderes Denken und Handeln an dieser Stelle und sagen: Lasst uns mal schauen, ob das funktioniert. Dann prüfen sie, und dann handeln sie.“ Auch für Deutschland dürfe es keine Perspektive bleiben, ohne ausreichende Wissensbasis handeln zu wollen. „Wir müssen wissen wollen“, so Prof. Windeler. „Und dann sind randomisierte Studien ein sehr geeignetes Instrument.“

Dr. Markus Follmann: „Im Leitlinienprogramm Onkologie wissen wir, an welchen Stellen Daten, Studien, Evidenzgrundlagen fehlen. Der Weg, diese Infos jenen zu geben, die Studien durchführen, ist verbesserungswürdig.“

Dr. Markus Follmann
Quelle: ro-b.com/Photography

In seinem Vortrag „Auf welcher Güte der Evidenz können Leitlinien aufbauen?“ sprach Dr. Markus Follmann, Bereichsleiter Leitlinien in der Deutschen Krebsgesellschaft, über Grundlagen von evidenzbasierten Leitlinien und gab aktuelle Beispiele aus der Onkologie. Eine Definition des Begriffs „evidenzbasierte Leitlinie“ sei nicht trivial und unterscheide sich in verschiedenen Staaten, so Dr. Follmann. In Deutschland habe man die S-Klassifizierung, wobei eine S3- oder eine S2e-Leitlinie mit systematischer Recherchebewertung verbunden sei und als evidenzbasiert bezeichnet werde. Grundsätzlich würden evidenzbasierte Leitlinien heute fast überall vorausgesetzt. Der Trend der letzten fünf Jahre im AWMF-Leitlinienregister zeige, dass die Zahl der S1-Leitlinien weiter zurückgehe zugunsten von S2- und S3-Leitlinien. Im Leitlinienprogramm Onkologie (einer seit 2008 bestehenden Kooperation von Deutscher Krebsgesellschaft, Stiftung Deutsche Krebshilfe und Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) werden onkologische S3-Leitlinien erstellt.
Das Verständnis von evidenzbasierter Medizin nach der Definition von David Sackett, dem Vater der evidenzbasierten Medizin, werde häufig falsch interpretiert, so Dr. Follmann. Die Definition besage, dass es eben nicht einzig und allein um randomisierte kontrollierte Studien oder Systematic Reviews und Evidenzberichte gehe. Neben der externen Evidenz würden zusätzlich die Erfahrungen, Erwartungen und Werteordnungen der Patienten in eine Entscheidung einfließen, ebenso wie die Erfahrungen der Ärzte aus der jahrelangen Praxis.
Zur Evidenz sei es ein weiter Weg, so Dr. Follmann, auf dem der Punkt käme, an dem man Evidenz einschätzen müsse. Die Leitlinien des Leitlinienprogramms Onkologie wiesen deshalb im Ergebnis bei allen Statements immer auch den Evidenzlevel der zugrundeliegenden Studien sowie bei allen Empfehlungen die Stärke (Empfehlungsgrad) aus: A = starke Empfehlung (Soll-Bestimmung), B = Empfehlung (Sollte-Bestimmung), 0 = Empfehlung offen (Kann-Bestimmung). Statements beruhten nicht selten aber auch auf konsensbasierten Expertenmeinungen; die Konsensusstärke werde dabei in einem Konsensusverfahren ermittelt und in der Leitlinie veröffentlicht: starker Konsens, Konsens, mehrheitliche Zustimmung, Dissens. Dr. Follmann: „Natürlich haben wir für den Nutzenvergleich bei RCTs eine höhere Sicherheit als zum Beispiel bei Fallserien, um eine starke Empfehlung auszusprechen. Aber man muss auch sagen: Studie ist nicht gleich Empfehlung.“
Das große Plus der Entwicklung von evidenzbasierten Leitlinien sei, dass man einen hervorragenden Überblick bekäme, welche Daten bereits vorliegen würden und welche nicht. Dr. Follmann: „Im Leitlinienprogramm Onkologie wissen wir, an welchen Stellen Daten, Studien, Evidenzgrundlagen fehlen und welche Informationen hochrelevant sind. Für jene, die Studien initiieren und durchführen, ist das eine überaus wichtige Information.“ Künftig müssten Lösungen erarbeitet werden, wie der Informationsfluss aus der Welt der Leitlinienentwicklung in die die Welt der klinischen Studien verbessert werden könne.

Prof. Dr. Michael Stöckle: "Solange wir kein besseres Wissen über die richtige Behandlung des Prostatakarzinoms haben, kann ein Patient seine Entscheidung gleich einem systematisch gesteuerten Zufallsentscheid überlassen."

Prof. Dr. Michael Stöckle
Quelle: ro-b.com/Photography

Prof. Dr. Michael Stöckle, Universitätsklinikum Homburg/Saar, informierte über die größte klinische Langzeiterhebung zu Prostatakrebs, die sogenannte Prefere-Studie. "Es ist eine prospektiv randomisierte Studie beim Niedrig-Risiko-Prostatakarzinom, bei der vier Behandlungsmöglichkeiten, die man laut S3-Leitlinie mit dem Patient besprechen soll, in systematischer Weise miteinander verglichen werden: Operation, Bestrahlung von außen, Bestrahlung von innen – also die Brachy-Therapie – oder die aktive Beobachtung. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind diese vier Möglichkeiten nicht gleich gut, was das tumorspezifische Überleben angeht. Und sie unterscheiden sich drastisch in ihrem Nebenwirkungsspektrum. Prefere soll in diesem Zusammenhang evidenzbasierte Aussagen liefern, welche Behandlungsmethode die beste ist. Wir wollen mit Prefere auch herausfinden, welches Bedrohungspotenzial eine steigende Lebenserwartung hat. Denn wir sprechen beim Prostatakarzinom von einem sehr langen Zeitverlauf. Deshalb dauert die Studie auch 30 Jahre. Wir brauchen dafür 7.600 Patienten – derzeit sind aber erst rund 300 Patienten eingeschlossen."

Diese Rekrutierungszahlen seien unbefriedigend. Laut Prof. Stöckle seien die Gründe vielfältig. Beispielsweise sei die Zahl der identifizierten Patienten mit Niedrigrisiko-Prostatakarzinom drastisch gesunken, da aufgrund von Kampagnen gegen die PSA-gestützte Früherkennung weniger gescreent werde. Der Pool, aus dem Prefere schöpfen könne, sei also klein. Zudem laufe die Randomisierung deutlich schlechter, als ursprünglich zu erwarten war, obwohl Studienteilnehmer die Möglichkeit hätten, maximal zwei der vier Behandlungsmöglichkeiten auszuschließen. Auch herrsche ein großes, zum Teil bizarres Gefälle in den Bundesländern und in einzelnen Landkreisen bei der Teilnahmebereitschaft der Ärzte und Kliniken – viele hätten noch keinen einzigen Patienten in die Studie eingebracht. Und nicht zuletzt sei die Präferenz eines Urologen für eine bestimmte Behandlungsmethode ein Hindernis – in dem vorherrschenden Maße sei auch das nicht zu erwarten gewesen, so Prof. Stöckle. Sicher spiele gesundheitsökonomischer Druck eine Rolle. Der könne aber die mangelnde Bereitschaft nicht erklären, mit Patienten über die eigene Präferenz hinaus andere Behandlungsmodalitäten zu besprechen.

Grund für diese Gesamtsituation, so Prof. Stöckle, sei die negative öffentliche Meinung, die sich unmittelbar nach Studienbeginn durch Berichte in der Fachpresse und im Internet gebildet habe. Dass es Gegenwind geben würde, sei ihm klar gewesen, so Prof. Stöckle. Allerdings sei er überrascht, dass sich nicht nur selbst ernannte Experten, sondern gestandene Urologen von banalen Rechenfehlern und Stimmungsmache in der Berichterstattung blenden ließen. Fakt sei aber auch, so gab Prof. Stöckle zu, dass man als Studienleitung auf Gegenwind falsch reagiert habe. Die Aufgabe für die Prefere-Studie sei nun, dem Sperrfeuer gegen die Studie und den fehlerhaften Informationen vor allem in Internet objektive Daten und Fakten entgegenzusetzen. "Wenn jeder der 2.700 niedergelassenen Urologen in Deutschland drei Patienten in einem Zeitraum von vier, fünf, sechs Jahren in die Studie einbringen würde, wäre die Studie voll. Rein arithmetisch ist das kein Problem – man muss es nur wollen", so Prof. Stöckle. "Darüber hinaus müssen wir verstärkt die Öffentlichkeit über den Sinn von klinischen Studien und – im Speziellen – über Prefere informieren, beispielsweise in Publikumsmedien. Männer möchten bei einer Diagnose eine einigermaßen fundierte Aussage, wie die Erfolgsaussichten und Risiken bei einer bestimmten Behandlung sind. Das soll Prefere liefern, das müssen wir kommunizieren. Denn solange wir kein besseres Wissen über die richtige Behandlung des Prostatakarzinoms haben, wird die Entscheidung des einzelnen Patienten von so vielen Zufällgkeiten beeinflusst, dass es wahrscheinlich besser wäre, sie einem systematisch gesteuerten Zufallsentscheid zu überlassen."

Stephanie Wolff: „Wir können uns nicht aufregen, dass bestimmte Dinge so dargestellt werden, wie sie dargestellt werden. Die Kommunikation folgt Regeln. Die können wir aber nutzen.“

Stephanie Wolff
Quelle: ro-b.com/Photography

Stephanie Wolff, operative Leitung der Geschäftsstelle des KKS-Netzwerks (Netzwerk der Koordinierungszentren für Klinische Studien) in Köln, nahm sich des Themas Medien an. Im Vortrag „Die Imagefrage – klinische Studien und Patienten/Studienteilnehmer im Spiegel der Medien“ sprach sie darüber, wie das vorherrschende Bild zu klinischen Studien entstehe und wie Ablehnung bzw. Unkenntnis klinischer Studien aufgegriffen und konstruktiv gewendet werden könnten. „Wir können uns nicht aufregen, dass bestimmte Dinge so dargestellt werden, wie sie dargestellt werden. Die Kommunikation folgt Regeln.“ Wer in die Medien wolle, so Frau Wolff, müsse beachten, wie Medien funktionieren und Themen auswählen. Hier seien zehn Nachrichtenelemente ausschlaggebend: Aktualität, Folgenschwere, Nähe, Prominenz, öffentliche Deutung, Dramatik, Kampf, Liebe und Sex, Emotionalität, Gefühl, Fortschritt und Kuriosität. „Je mehr Nachrichtenelemente Ihre Meldung enthält, umso größer ist die Chance, dass Sie in den Medien wahrgenommen werden. Das heißt also, auch das Thema klinische Studien hat eine umso größere Chance, in den Medien beachtet zu werden, je mehr Nachrichtenelemente sie enthält. Ein Beispiel: Guido Westerwelle gab kürzlich Interviews über seine Erkrankung und ist im Spiegel auf der Titelseite. Jetzt ist die beste Gelegenheit, über Studien zum Thema Leukämie zu sprechen.“ Grundsätzlich unterschieden sich verschiedene Medien, Kanäle und Formate danach, wie stark und intensiv sie sich mit einer Faktenlage befassten, welche Visualität oder Tonalität und welcher Unterhaltungswert vorlägen: Facebook funktioniere anders als die überregionale Presse, ein Spielfilm funktioniere anders als ein Youtube-Video, Radio funktioniere anders als Instagram. Es brauche eine differenzierte Berichterstattung, und man müsse manchmal auch unkonventionelle Wege gehen, so Stephanie Wolff. Allen Medien gemein sei aber oft, dass es nicht um primäre Informationen zu einer Erkrankung oder einer Studie gehe, sondern zunächst darum, Awareness aufzubauen.
Frau Wolff betonte abschließend, dass das Image von Patienten und klinischen Studien in einem direkten Zusammenhang zu der weit verbreiteten Annahme stehe, die reguläre Behandlung sei immer sicher und evidenzbasiert, wogegen klinische Studien stets mit hohem Risiko behaftet seien. Hier wünsche sie sich eine andere Informationskultur, die von Transparenz geprägt sein müsse und Wissenslücken von Seiten der Behandler offen kommuniziere. Nur so könne sich das Image des Patienten zu einem selbstbewussten und kritischen Studienteilnehmer und informierten Fürsprecher und Berater wandeln.

Abschließende Podiumsdiskussion

Quelle: ro-b.com/Photography

In der abschließenden Podiumsdiskussion, an der neben den Referenten auch Dr. Werner Bartens teilnahm, Mediziner und leitender Redakteur des Ressorts Wissen der Süddeutschen Zeitung, wurde zunächst die Rolle des Arztes diskutiert. Noch immer würden viele Ärzte handeln, ohne zu wissen, ob es tatsächlich nützlich für den Patienten sei. Auch Gedankenstereotype spielten oft noch eine Rolle, sowohl bei Ärzten als auch bei Laien: etwas tun ist besser, als nichts tun; invasiv ist besser als konservativ; neu ist besser als alt; etwas häufig machen ist besser, als etwas selten zu machen. Es gebe aber nicht die eine Wahrheit – dieses weit verbreitete Denken aufzubrechen, sei wichtig. Vielen Ärzten fiele es aber schwer einzugestehen, vor allem gegenüber einem Patienten, vieles nicht so genau zu wissen. Neben dem Eingestehen sei es dann aber auch wichtig zu sagen: Wir wollen das wissen! Das sei der Ansatz zu einer positiven Herangehensweise an klinische Studien – bei Ärzten, aber auch auf höchster Systemebene und in der politischen Gesetzgebung. So könne ein Kulturwandel in der Ärzteschaft erreicht werden.  
Nur im Bereich der Arzneimittelzulassung existiere heute viel Wissen und Sicherheit: Kein Medikament komme ungeprüft auf den Markt. In allen andern Bereichen in der Versorgung befinde man sich im Nebel. Hier müssten gerade in Deutschland Änderungsprozesse angestoßen werden. Der Vorschlag, die komplette Onkologie, also auch die Behandlung, vollständig in Studien abzuwickeln, sei ein revolutionärer, aber sinnvoller Ansatz und müsste mit der Politik diskutiert werden. Es gebe genügend Studiendesigns, um das zu realisieren. In der Kinderonkologie sei dieser Ansatz bereits erfolgreich umgesetzt und zeige beeindruckende Behandlungserfolge.
Der Öffentlichkeit gelte es zu vermitteln, dass Studien etwas Positives seien. Sie würden nicht gemacht, um einem Individuum zu schaden oder ihn zu einem willenlosen Versuchskaninchen zu degradieren, sondern um einem Individuum zu helfen und damit auch die Versorgung vieler Menschen zu verbessern. Medien spielten dabei eine wichtige Rolle – unabhängig ob Print- oder Onlinemedien.
Die Prefere-Studie, darüber waren sich die Diskutanten einig, werde auf jeden Fall einen Effekt haben – ob für Rekrutierungsfragen, Studienkultur oder die angestrebte Nutzendiskussion.

Referenten

Dr. med. Werner Bartens (Leitender Redakteur Süddeutsche Zeitung); Dr. Johannes Bruns (Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft, Berlin); Dr. Markus Follmann, MPH MSc (Bereichsleiter Leitlinien der Deutschen Krebsgesellschaft, Berlin); Prof. Dr. Michael Stöckle (Studienleiter Urologie der PREFERE-Studie, Universitätsklinikum Homburg/Saar); Prof. Dr. Jürgen Windeler (Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, Berlin); Stephanie Wolff (operative Leitung der Geschäftsstelle des KKS-Netzwerks – Netzwerk der Koordinierungszentren für Klinische Studien, Köln)